Wie wir 2045 leben könnten
Angesichts der derzeitigen klimatischen, politischen und gesellschaftlichen Krisen fällt es vielen Menschen schwer, optimistisch auf das Morgen zu blicken. Umso erfreulicher ist ein Blick in das opulent illustrierte Buch „Zukunftsbilder 2045 – Eine Reise in die Welt von morgen“. Der Bildband zeigt auf inspirierende Weise, wie Städte und Orte des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland, der Schweiz und Österreich in einer klimafreundlichen, nachhaltigen Zukunft aussehen könnten. Mit aufwendiger Visualisierung werden Metropolen im Buch zu grün-bunten Lebensorten, in denen Energiegewinnung, Verkehr und Ernährung zu einer Kreislaufwirtschaft verschmolzen sind.
Insgesamt 17 futuristische Stadtpanoramen werden in dem Bildband vorgestellt. Die detailreich gestalteten Renderings zeigen unter anderem innovative Ansätze in den Bereichen Mobilität, Stadtplanung, Klimaschutz und Landwirtschaft sowie der dezentralen Energieerzeugung. Damit der Kontrast der Veränderung und das Potenzial der zukünftigen Entwicklung greifbarer werden, wurden den Zukunftsbildern jeweils Stadtansichten von heute vorangestellt.
Städte, die zu grünen Oasen umgebaut wurden, mit Wasserlandschaften, auf denen schwimmende Pflanzeninseln treiben. Flüsse und Seen, so klar, dass man ihr Wasser trinken kann. Dazu verkehrsberuhigte Straßen, auf denen E-Shuttles des kostenlosen ÖPNV fahren. Ansonsten breite Velo-Routen – und Grünflächen und Wiesen statt Parkplätze. Außerdem öffentliche Räume, die nicht mehr vorrangig dem Konsum, sondern der Begegnung dienen.
Statt Abriss und Neubau setzt man in der Stadtplanung auf Umbau und Sanierung. Das Prinzip der Regeneration ist zum vorherrschenden Leitbild der Architektur geworden: Neubauten werden flexibel und modular geplant, sind um- und rückbaufähig und werden aus Holz und anderen nachwachsenden Rohstoffen wie Lehm, Schilf, Bambus und Hanf errichtet. Für die Klimatisierung und Energieversorgung der Gebäude werden zum Beispiel Regenwasser, Sonnenlicht, Erdwärme und Abfälle genutzt.
Alles zu schön, um wahr zu werden? Im Interview erläutert Lino Zeddies, Berater für Transformation, Selbstorganisation und Visionsentwicklung bei Reinventing Society und Co-Autor des Buches „Zukunftsbilder 2045 – Eine Reise in die Welt von morgen“, wie realistisch die Utopien der in den Zukunftsbildern gemalten Welt sind.
Herr Zeddies, zuallererst die Frage: Was hat Sie und Ihre Kolleg:innen Stella Schaller, Ute Scheub und Sebastian Vollmar dazu veranlasst, dieses Buch herauszubringen?
In der Debatte um den Umgang mit dem Klimawandel wird oft über technische Maßnahmen, Kosten und Emissionseinsparungen gesprochen. Im Fokus stehen stets das Verhindern von Schäden, Verzicht auf Annehmlichkeiten und düstere Zukunftsaussichten. Wir brauchen jedoch Begeisterung und Tatkraft für Neues, eine positive Sicht auf die zu gestaltende Zukunft. Kreative Neuentwürfe können zeigen, dass so mancher „Verzicht“ – etwa auf ein Auto – in Wahrheit einen Gewinn an Natur, Gesundheit und Lebensqualität bedeuten kann.
Unser Buch präsentiert durch Bilder und Texte eine Vision einer erstrebenswerten Zukunft in etwa 20 Jahren, wenn wir konsequent unsere Wirtschaft und Gesellschaft sozial und ökologisch umgestalten. Mit den Zukunftsbildern möchten wir dieses Potenzial sinnlich erfahrbar machen und Lust auf eine solche Zukunft wecken.
Sie schreiben, dass viele Ihrer Zukunftsbilder keineswegs reine Fiktion sind. Tatsächlich würden viele der von Ihnen geschilderten Innovationen und Lösungen bereits existieren. Welche sind das beispielsweise?
Wir benutzen in diesem Zusammenhang gerne den Begriff der Realutopien. Das sind zukunftsweisende Ansätze, Lösungen und Praktiken, die es heute schon gibt, die aber meist wenig bekannt und in den Nischen zu finden sind. Solche Realutopien gibt es überall. Bei der Ernährung gibt es etwa die solidarische Landwirtschaft, Gemeinschaftsgärten, Market Gardening, syntropisches Farming und Permakultur – alles Ansätze, die mit der Natur arbeiten, Böden regenerieren und gleichzeitig hohe Erträge bringen.
Können Sie diese Konzepte kurz erklären?
Natürlich, gern. In der solidarischen Landwirtschaft – auch Solawi genannt – tragen mehrere private Haushalte die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug einen Anteil an dessen Ernteertrag erhalten. Beim Market Gardening handelt es sich um ressourcenschonenden Gemüseanbau auf kleiner Fläche, wobei das Gemüse direkt – also ohne Zwischenstationen – an die Konsument:innen verkauft wird. Syntropisches Farming wiederum bezeichnet ein regeneratives, intensives Anbaukonzept, das sich die Natur als Vorbild für den Anbau nimmt. In der Regel werden viele unterschiedliche Pflanzen und Bäume kombiniert und Symbiosen ermöglicht. Regelmäßiger Beschnitt der Pflanzen spornt deren Wachstum an und führt dem Boden Nährstoffe zu. Die bewirtschafteten Böden werden grundsätzlich bedeckt und bleiben im besten Fall bewurzelt. So wird Erosion vorgebeugt, die Feuchtigkeit im Boden gehalten und die Bodenaktivität belebt.
Und zu guter Letzt: Auch Permakultur ist ein landwirtschaftliches Konzept, das darauf basiert, Ökosysteme und Kreisläufe in der Natur zu beobachten und nachzuahmen. Die Philosophie dahinter ist die Arbeit des Menschen mit der Natur und nicht gegen sie. Wie beim ökologischen Landbau wird dabei auf Monokulturen und den Einsatz chemisch-synthetischer Dünger und Pestizide verzichtet. So werden langfristig stabile Ökosysteme geschaffen, die sich selbst erhalten.
Welche Ideen mit Zukunftspotenzial gibt es abseits von der Landwirtschaft?
Eine weitere Realutopie sind zum Beispiel die Superblocks in Barcelona. Dort wurden mehrere Wohnblöcke zu autofreien Zonen zusammengelegt, in denen die Straßen mit Bänken, Beeten, Spiel- und Sportplätzen für die Menschen hergerichtet wurden. Die Resonanz ist überwältigend. Oder Grenoble, wo es keine Werbung mehr im öffentlichen Raum gibt. Auf unserer Website zum Buch www.realutopien.info haben wir eine „Bibliothek der Realutopien“ bereitgestellt.
In den Zukunftsbildern wimmelt es von Dach-PV-Anlagen, Windkraftanlagen und Windturbinen. Wie wahrscheinlich ist es Ihrer Meinung nach, dass Deutschland – auch aufgrund dezentraler Energieerzeugung – bis zum Jahr 2045 die Klimaneutralität erreicht hat?
Deutschland hat die Klimaneutralität 2045 immerhin zum offiziellen Ziel erklärt. Gerade steuern wir noch nicht unbedingt dorthin, aber technologisch ist das kein Problem. Wenn der politische Wille da ist, können wir das innerhalb kürzester Zeit bewältigen. Unser Buch ist jedoch keineswegs als Prognose zu verstehen, sondern als Vision. Was die Zukunft am Ende wirklich bringen wird, das ist eine kollektive Entscheidung. Wir haben uns als Organisation einer regenerativen Transformation verschrieben und setzen uns dafür ein, dass eine solche positive Zukunft Wirklichkeit wird.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Zeddies!
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