So funktioniert das Second Life alter E-Auto-Batterien
Wie Reifen zählen auch Batterien zu den Verschleißteilen bei E-Autos. Mit jedem Ladezyklus sinkt die Leistungsfähigkeit eines E-Auto-Akkus minimal ab. Nach etwa 800 bis 1000 Zyklen oder 100.000 bis 300.000 gefahrenen Kilometern ist meist auch für den stärksten und besten Akku Schluss. „Seine Leistung liegt dann im Schnitt nur noch bei 70 bis 80 Prozent der ursprünglichen Kapazität“, sagt Jürgen Sutter, Senior Researcher Ressourcen & Mobilität beim Öko-Institut in Darmstadt. Für den anspruchsvollen Dienst im E-Auto ist das zu wenig. Die Reichweite sinkt, die schwächelnde E-Auto-Batterie muss ausgetauscht werden.
Aus E-Auto-Akkus werden stationäre Stromspeicher
Doch was geschieht dann mit den Altakkus? Eine E-Auto-Batterie ist nach ihrem ersten Leben auf der Straße alles andere als unbrauchbar oder gar wertlos. Im Gegenteil: „Der Akku eignet sich meist noch für eine Vielzahl anderer Anwendungen, die weniger stressig sind als der Job im E-Auto“, sagt Professor Maximilian Fichtner, geschäftsführender Direktor des Helmholtz-Instituts Ulm für Elektrochemische Energiespeicherung. Die verbliebene Batteriekapazität könne beispielsweise ausreichen, um im Verbund mit anderen Altakkus als stationärer Batteriespeicher Wind- oder Solarstrom aufzunehmen und so das Stromnetz zu stabilisieren. Laut einer Untersuchung der Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey könnten aufbereitete E-Auto-Akkus bis 2030 rund 60 Prozent des dringend benötigten Stromspeicherbedarfs in Deutschland decken.
Mithilfe solcher stationären Stromspeicher können beispielsweise Straßenlaternen und kleine Elektrogeräte mit Energie versorgt werden. Alternativ eignen sich alte E-Auto-Batterien auch für den Einsatz in „Batteriefarmen“ in der Industrie, als Teil von E-Auto-Ladestationen oder Stromspeicher für Photovoltaikanlagen in Privathaushalten. In der Regel sind die Kosten und der technische Aufwand für den Umbau der Akkus überschaubar.
„Es gibt eine Vielzahl weiterer nachhaltiger Einsatzmöglichkeiten“, sagt Experte Sutter. Das Second Life eines E-Auto-Akkus könne zehn Jahre oder länger dauern – je nach Zustand und neuem Einsatzgebiet. Erst danach sei endgültig Schluss, und die Elektroautobatterie müsse recycelt werden, um wertvolle Rohstoffe wie Lithium, Nickel oder Kobalt aus dem Akku zurückgewinnen und im Sinne der Kreislaufwirtschaft wiederverwenden zu können.
Second-Life-Prinzip ist ökologisch und rechnet sich
Doch vor dem Recycling leisten die Akkus in ihrem Second Life einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und verbessern zugleich die Umweltbilanz von E-Autos. „Die eingesetzten Rohstoffe der E-Auto-Batterien können dank des zweiten Lebens deutlich länger genutzt werden, sodass für die Gewinnung neuer Materialien weniger Energie aufgewendet werden muss“, so Sutter. „Das schont knappe Ressourcen und trägt zu mehr Nachhaltigkeit in der Elektromobilität bei.“
Zudem rechnet sich das Second Life einer E-Auto-Batterie im Vergleich zum sofortigen Recycling auch wirtschaftlich. Die Automobilhersteller sind gesetzlich zum Recycling ausgedienter Akkus verpflichtet. „Doch für das Recycling ausgedienter Batterien wird derzeit noch relativ viel Energie benötigt, und die Kosten des Prozesses übersteigen den Wert der gewonnenen Materialien. Deshalb ist es auch aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll, eine Batterie so lange wie möglich zu nutzen“, sagt Dirk Uwe Sauer, Professor für Elektrotechnik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen.
Viele nachhaltige Einsatzmöglichkeiten für E-Auto-Batterien
So ist es keine Überraschung, dass sich die Automobilhersteller aktiv an Second-Life-Projekten zur nachhaltigen Weiternutzung ausgedienter E-Auto-Akkus beteiligen. Unterstützung erhalten sie dabei von Energiedienstleistern und Start-up-Unternehmen. Bei Volkswagen läuft eine Vielzahl von Second-Life-Großspeicherprojekten. Dafür schaltet der Konzern gebrauchte E-Auto-Akkus zu leistungsstarken Großbatterien zusammen. Diese riesigen stationären Stromspeicher kommen sowohl in den VW-Werken als auch in Kooperationsprojekten mit Versorgungsgesellschaften und Städten zum Einsatz.
Auch die VW-Tochter Skoda setzt auf Re-Use, also ein Second Life für ausgediente Fahrzeugakkus. Das Unternehmen bietet seinen Vertragshändlern aus alten Batterien gefertigte stationäre Stromspeicher mit einer Leistung von bis zu 328 kWh an. Sie können mit Ladestationen für E-Autos gekoppelt oder zur Zwischenspeicherung von Ökostrom genutzt werden, um beispielsweise die Verkaufsflächen der Autohändler zu beleuchten und zu klimatisieren.
Das Berliner Start-up „betteries AMPS“ konzentriert sich bei der Zweitnutzung ausrangierter E-Auto-Batterien vor allem auf mobile Einsatzfälle und produziert Kleingeneratoren, die sonst mit Benzin oder Diesel betrieben werden müssten. „Sie werden in der Film- und Eventbranche, aber auch im Baugewerbe gebraucht“, sagt Start-up-Gründer Dr. Rainer Hönig. Hinzu kämen modulare Batterie-Packs für den Einsatz in elektrischen Kleinfahrzeugen für die letzte Meile, für kleine Boote oder als Speicher für Solaranlagen.
Second Life ermöglicht den Ausbau der Erneuerbaren
Mercedes-Benz Energy betreibt gemeinsam mit enercity einen stationären Stromspeicher aus ausgemusterten Akkus der Mercedes-Benz-Carsharing-Flotte. Er dient dazu, die schwankenden Stromeinspeisungen aus erneuerbaren Energien nahezu verlustfrei auszugleichen. Dafür setzen die Partnerunternehmen auch neue E-Auto-Batterien ein, die Mercedes als Ersatzteile vorhält. Um betriebsbereit zu bleiben, müssen die Batterien regelmäßig behutsam geladen und wieder entladen werden. Diese „lebende Lagerung“ der Akkus geschieht in einem stationären Stromspeicher. So spart Mercedes die Kosten für die Ersatzakku-Lagerung und hilft gemeinsam mit enercity stattdessen dabei, das Stromnetz zu stabilisieren und den weiteren wichtigen Ausbau der Erneuerbaren zu ermöglichen.
Das Speicherpotenzial von Second-Life-Akkus wird in den nächsten Jahren noch erheblich wachsen. Im Frühjahr 2022 lag die Zahl der in Deutschland zugelassenen, rein elektrisch betriebenen Autos bei knapp 700.000. Hinzu kommen etwa 600.000 Plug-in-Hybrid-Pkw. Die Batterien aus diesen Autos sind nach ihrem Leben auf der Straße interessant für ein zweites Leben. Und es kommen täglich neue E-Fahrzeuge hinzu. Denn Experten sind sich einig, dass die Zukunft der Mobilität elektrisch ist. Jürgen Sutter vom Öko-Institut unterstreicht daher die zunehmende Bedeutung von Second-Life-Anwendungen: „Wir benötigen definitiv mehr Stromspeicherkapazitäten, um die Energiewende zu schaffen. Dafür können Second-Life-Speicher einen kostengünstigen und nachhaltigen Beitrag leisten.“
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