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24/7 Energiehandel

Zwischen Hochs und Tiefs: Wenn der Energiehandel wetterfühlig wird

Seit 1999 hat enercity einen eigenen Energiehandel, rund 30 Mitarbeitende kümmern sich um das Geschäft mit Strom und Gas. Zum Team gehören auch das Backoffice und weitere Bereiche unter dem Dach der Energiewirtschaft. 2015 wurde das 24/7-Handelsteam eingeführt. Hier arbeitet Jan Bulowski. Während wir ihm in seiner Schicht über die Schulter schauen, entdecken wir die spannungsgeladene Welt der Energiebörse: Ein Marktplatz für den effizienten Ausgleich von Angebot und Nachfrage.

„Wir sind glatt, alles verkauft.“ Jan Bulowski lehnt sich in seinen Stuhl zurück, atmet einmal zufrieden durch und schiebt sich einen Bonbon in den Mund. Ein zuckerhaltiger Energieschub, den sich der 22-Jährige nach fordernden Stunden gönnt. Mit Energiespitzen kennt sich Bulowski von Berufs wegen aus: Als Energiehändler sitzt er im enercity Trading Floor des 24-Stunden-Energiehandels. Gemeinsam mit sieben weiteren Kolleg:innen handelt er mit Strom und Gas, in drei Schichten, an sieben Tagen in der Woche. Acht Bildschirme sind vor ihm aufgereiht. Zahlen zappeln in Tabellen hoch und runter, Charts bilden Zickzackkurse ab – sie zeigen die Preisentwicklungen für Gas und Strom an der Leipziger Energiebörse European Energy Exchange (EEX) an. Und immer wieder blinkt es, begleitet durch ein Tonsignal: Ein „Pling“ kündigt Bulowski einen erfolgreichen Verkauf an.  

Handel mit Energie wird sprunghafter

An den Börsen (EEX und europäische Strombörse EPEX Spot) gibt es zwei Märkte für Strom und Gas – zum einen der Terminmarkt, an dem Preise für Energiemengen Monate, Quartale und Jahre im Voraus vereinbart werden. Und der Spotmarkt für den kurzfristigen Handel. Hier werden je nach Marktplatz Strommengen für jede Stunde des Folgetages oder bis zu fünf Minuten vor Lieferung gehandelt, erklärt Volker Siedentopp, Leiter des 24/7-Handels: „Stromlieferanten können auf diese Weise flexibel auf unvorhersehbare Ereignisse reagieren.“ Durch die kurzfristigen Geschäfte auf dem Spotmarkt sollen Überschüsse und Lieferengpässe im Stromnetz vermieden werden.

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Acht Bildschirme zeigen die Preisentwicklungen für Gas und Strom an der Leipziger Energiebörse European Energy Exchange (EEX) an.

Auch für die Privat- und Geschäftskund:innen von enercity bietet der eigene Energiehandel Vorteile. Wenn Jan Bulowski und seine Kolleg:innen Energie zu attraktiven Konditionen einkaufen, trägt das zu einer stabilen Preisstruktur über alle Tarife hinweg bei. 

Das Team hat die Marktentwicklungen rund um die Uhr im Blick und schaltet sich ein, wenn ein interessantes Energiegeschäft in Aussicht ist. Der Gasmarkt sei insgesamt eher träge und saisonabhängig, umso aktiver stelle sich die Strombörse dar, so Bulowski: „Das generelle Phänomen, dass Strompreise morgens und abends höher sind, ist seit einigen Jahren gelernt. Durch den immer größer werdenden Anteil an erneuerbaren Energien am Strommarkt wird der Handel aber sprunghafter.“ Energieversorgung sei insgesamt wetterfühliger geworden, Hoch- und Tiefpreise nehmen zu.  

Stromflüsse jederzeit im Gleichgewicht

Für das Team des 24/7-Handels eröffnen sich durch die veränderte Marktsituation Chancen – die Bulowski in seiner Schicht genutzt hat. „Da die Wetterprognosen von gestern nicht genau eingetroffen sind, ist die Marktvolatilität heute entsprechend hoch“, so der Energiehändler. Die erneuerbare Produktion aus Solar- und Windenergie muss durch konventionelle Energien und Speicher ergänzt werden, um die Nachfrage bedienen zu können. Mit einem Griff zur Maus startet Bulowski die Stromverkäufe, um wenige Minuten später mit der Leitstelle des Heizkraftwerks in Linden zu telefonieren. Die Gasturbinen im Kraftwerk können den notwendigen Strom in wenigen Minuten produzieren, den Bulowski dann an der Börse verkauft. 

Um das System zu erklären, zieht Bulowski einen Vergleich zur Deutschen Bahn: Auch wenn dort die Fahrpläne im Vorfeld feststehen, können diese durch unvorhergesehene Ereignisse beeinflusst werden, so dass kurzfristig flexibel angepasst werden muss, damit der Bahnverkehr wieder geregelt in alle Richtungen fließt. Geregelt fließen muss auch der Strom in Deutschland. Für die Stabilität des Stromnetzes sorgen überregionale Bilanzkreise, die sicherstellen, dass Stromeinspeisung und Stromentnahme jederzeit im Gleichgewicht sind: Im Sinne der Netzstabilität darf weder zu viel noch zu wenig Strom im Netz vorhanden sein. Weichen Stromeinspeisung und -entnahme voneinander ab, gleichen Bilanzkreisverantwortliche – zum Beispiel enercity als Energieunternehmen, das erzeugte Energie aus seinen Wind- und Photovoltaikparks sowie konventionellen Kraftwerken vermarktet – die Bilanzsumme aus. 

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Mit Energiespitzen kennt sich Jan Bulowski aus: Als Energiehändler sitzt er im enercity Trading Floor des 24-Stunden-Energiehandels. Gemeinsam mit sieben weiteren Kolleg:innen handelt er mit Strom und Gas, in drei Schichten, an sieben Tagen in der Woche.

Die Zukunft gehört dem Virtuellen Kraftwerk

In Zukunft will enercity ausschließlich klimaneutralen Strom vermarkten: Als zukunftsorientiertes Energieunternehmen setzt enercity voll auf Windenergie und Photovoltaik. „Durch den konsequenten Ausbau unserer erneuerbaren Energien haben diese das Potenzial, vollständig in die Rolle der bisherigen Stromproduktion zu schlüpfen“, so Siedentopp. Neben Sonne und Wind gewinnt enercity auch Strom aus Biomasse und Biogas und speist ihn ins Netz ein. Zudem produzieren einige der Anlagen, mit denen die enercity ihr Kohlekraftwerk perspektivisch ersetzen wird, neben Wärme ebenfalls Strom – so zum Beispiel das sich derzeit im Bau befindliche Biomasse-Heizkraftwerk. In diesem Zuge rückt das „Virtuelle Kraftwerk“ bei den Energiehändler:innen im Trading Floor von enercity mehr und mehr in den Fokus: „Über das Virtuelle Kraftwerk bündeln, überwachen und steuern wir die Leistung unserer dezentralen Windenergieanlagen und vernetzen diese mit den Stromhandelsmärkten“, sagt Bulowski. „Über Fahrpläne können die Anlagen ferngesteuert werden, um den geplanten und eventuell schon verkauften Stromfahrplan einzuhalten.“ In Fällen von unerwarteten Produktionsdefiziten – wenn zum Beispiel Wind viel schwächer weht als vorhergesagt – muss über den Markt für Ausgleich gesorgt werden. „Das ist ein effizienter Prozess, den wir kennen. An der Versorgungssicherheit ändert das nichts“, unterstreicht Bulowski.

Volker Siedentopp Porträt

Stromlieferanten können durch den kurzfristigen Stromhandel flexibel auf unvorhersehbare Ereignisse reagieren.

Volker SiedentoppLeiter 24/7-Energiehandel bei enercity

Die Einbindung von erneuerbarer Energie in den Energiehandel stellt für alle Marktbeteiligten dennoch Herausforderungen dar, ergänzt Siedentopp: „Je weniger plan- und kalkulierbare Erzeugung über konventionelle Kraftwerke am Netz ist, desto stärker werden die dynamischen erneuerbaren Energien die Preisbildung dominieren. Gleichzeitig werden die Kund:innen in Zukunft ihren Verbrauch stärker an den Strompreisen ausrichten können und so auch von niedrigen Preisen profitieren. Damit kommt auch auf der Nachfrageseite eine weitere volatile Komponente ins Spiel.“ Es sei zu erwarten, dass sowohl die Phasen von sehr billigem Strom als auch von Preisspitzen größer werden. Eine Basis von zuverlässig steuerbaren Anlagen und Energiespeichern werde zukünftig daher umso wichtiger. 

Energiehändler – ein Job zwischen Gedankenschnelligkeit und hoher Verantwortung

Absprachen mit den Kolleg:innen aus den Kraftwerken oder der Leitstelle Strom sind für die enercity-Energiehändler:innen Routine, kommen aber immer häufiger vor. Auch, wenn der überwiegende Teil der Geschäfte im Hintergrund über automatisierte Algorithmen laufe: Für unvorhergesehene Marktentwicklungen greifen die 24/7-Kolleg:innen regelmäßig manuell ins aktuelle Tagesgeschäft ein. Diese Aufgabe erfordert Konzentration, Übersicht und Gedankenschnelligkeit, beschreibt Bulowski. „Wir sind uns im Klaren, welche Verantwortung wir tragen.“ Neben der Rentabilität müssen die Energiehändler:innen dabei viele weitere Parameter in Betracht ziehen, etwa die Auslastung der Kraftwerke sowie die vorhandenen Ressourcen. 

Für Bulowski stellt diese Unkalkulierbarkeit seines Arbeitsalltags den besonderen Reiz dar: „An manchen Tagen bin ich direkt nach der Schicht-Übergabe voll in Aktion. Vorab zu planen ist nicht möglich, diese Abwechslung macht meinen Job aus und mir sehr viel Spaß.“ Und falls er sich während einer Schicht energetisch pushen muss – der Korb mit Bonbons steht im Trading Floor seit seiner Einführung immer griffbereit. 

4. Oktober 2024
Erneuerbare Energien
Hannover

Text: Alberto Alonso Malo. Fotos: Franz Bischof

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