Wieso die Architects for Future eine Bauwende fordern
Die Klimaschutzinitiative „Fridays for Future“ hat zahlreiche Unterstützerkreise entstehen lassen. So gibt es neben den „Scientists for Future“ (Wissenschaftler) auch die „Architects for Future“ (A4F). Dabei handelt es sich um Architekten, die sich für eine Bauwende, für die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens und die Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius einsetzen – also weg von einer Gewinnmaximierung und hin zu einem sozial- und klimagerechten Bauen. Sie wollen eine lebenswerte Zukunft erreichen, die durch die Baubranche aktiv und positiv bereichert wird. #positive energie hat mit dem A4F-Vertreter und Architekten Adrian Nägel gesprochen.
Herr Nägel, in den Städten wird’s immer enger. Und trotzdem ziehen weltweit immer mehr Menschen vom Land in die Städte. Wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen, wie und wo sollten wir dann in Zukunft wohnen?
Adrian Nägel: Grundsätzlich ist die Bewältigung der Klimakrise im urbanen Kontext einfacher. Kürzere Wege und kompaktere Bauweisen reduzieren den Flächen- und den Energieverbrauch. Allerdings müssen wir auch hier ein Maß finden, bei dem in den Städten ausreichend nicht überbaute Flächen verbleiben, um Tieren Lebensraum zu bieten und Naherholung zu ermöglichen, aber vor allem, um die Städte widerstandsfähiger für den Klimawandel zu machen. Eine Stadt, in der ausreichend Flächen zur Versickerung und Speicherung von Regenwasser zur Verfügung stehen, kann besser mit Starkregenereignissen und Trockenperioden umgehen (Anm. d. Red.: Mehr dazu lesen Sie in unserem Artikel "Grün in der Stadt, gut fürs Klima"). Das Modell der Schwammstadt kann hier viele Grundlagen für eine klimaresiliente Stadtplanung liefern. Bäume reduzieren die zunehmende Überhitzung der Städte und binden Feinstaub.
Sie fordern unter anderem die Sanierung von Gebäuden anstatt Abriss und Neubau. Wie genau sollte das aussehen?
Wie die meisten unserer Forderungen ergibt sich auch diese auf direktem Weg aus wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wollen wir die CO₂-Ziele erreichen, müssen wir den Materialverbrauch und damit die „grauen Emissionen“ im Gebäudesektor senken. Dies gilt selbstverständlich auch im Neubau, aber der wesentliche Schlüssel ist die Nutzung des Materials, das bereits da ist. Besonders im urbanen Raum werden zahlreiche Gebäude abgerissen, anstatt sie umzubauen, da bei aktuellem Bau- und Haftungsrecht und der fehlenden Betrachtung der Energie, die bereits im Gebäude steckt, dies schlichtweg einfacher ist.
Tatsächlich gibt es zahlreiche Studien, die nachweisen, dass Sanierung in den meisten Fällen wirtschaftlich günstiger ist als Neubau. Das aktuelle Baurecht basiert auf den Anforderungen an Neubauten. Wir benötigen eine Umbauordnung, die im Gegensatz zum aktuellen Baurecht den Fokus auf die Umnutzung und nicht auf den Neubau von Gebäuden setzt. So würde Sanierung noch einmal deutlich wirtschaftlicher werden. Architects for Future hat hierzu eine Muster-Umbauordnung erarbeitet. Diese haben wir auf unserer Homepage hinterlegt. Auch das Haftungsrecht müsste angepasst werden, um den Wiedereinbau von Materialien zu ermöglichen. Nach aktuellem Recht gehen Architekten und Architektinnen sowie Bauschaffende ein Haftungs- und Gewährleistungsrisiko ein, wenn sie Baustoffe direkt wiederverwenden. Diese Hürden müssen abgebaut werden.
Welche Materialien sind bei Gebäuden besonders ressourcenschonend und nachhaltig?
Das sind nach der Verwendung bereits existierende Materialien, Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen wie Holz, Hanf oder Stroh. Aber fast jeder Baustoff kann nachhaltig verbaut werden. Stahlbeton ist zum Beispiel ein Hochleistungsbaustoff, ohne den viele Ingenieur-Bauwerke undenkbar wären, aber auch bei erdberührten Bauteilen im Hochbau kann er sinnvoll eingesetzt werden. Wände in oberen Geschossen aus Beton zu bauen ist aber schlicht eine Verschwendung dieses wertvollen Materials. Es reicht nicht, einfach andere Baustoffe zu verwenden, sondern wir müssen anfangen, intelligent mit dem vorhandenen, aber auch mit neuem Material umzugehen. Nachhaltige Baustoffe sind solche, die funktionsgerecht, aber auf den maximal notwendigen Verbrauch reduziert und kreislaufgerecht verbaut sind.
Sie fordern weniger Downcycling und mehr Recycling, sodass anfallender Bauschutt von gleichbleibender Qualität wieder in den Baukreislauf einfließt. Wie genau lässt sich das realisieren?
Indem wir Bauteile planen und bauen, die nach der Nutzungsdauer zerstörungsfrei wieder zurückgebaut und an anderer Stelle wieder eingebaut werden können. Dies kann etwa durch ganze Elemente wie Wände, Decken und Dächer erfolgen, aber auch durch einzelne Bauteile wie Holzbalken, Dämmelemente oder Vorhangfassaden. Sprechen wir heute von einer hohen Recyclingquote im Bausektor, so ist damit gemeint, dass zurückgebaute Dämmstoffe wie beispielsweise in der Zementindustrie als Brennstoff genutzt werden oder dass Beton geschreddert und als Unterbau im Straßenbau eingesetzt wird. Sie verlieren massiv an Wert und an gesellschaftlichem Nutzen. Können wir aber die Bauteile eines Gebäudes nach der Nutzungsdauer in gleicher Weise weiternutzen, wird ein Gebäude zu einem Materialspeicher für die Zukunft anstatt wie aktuell zu einem Cocktail aus Gefahrstoffen. Hierfür bedarf es eines Umdenkens in der Planung, aber auch einer zentralen Datenbank über die in einer Stadt vorhandenen Baustoffe.
Steht bei A4F ausschließlich der ökologische Gedanke im Vordergrund, und die Wirtschaftlichkeit spielt eine untergeordnete Rolle?
Nein, selbstverständlich nicht. Wir setzen uns mit all unseren Forderungen wie in unserem Berufsalltag ständig mit der Wirtschaftlichkeit auseinander. Die aktuellen politischen und marktwirtschaftlichen Vorgaben verleiten aber dazu, kategorisch falsch zu rechnen. Die Nutzung bestehender Gebäude wäre zum Beispiel in den meisten Fällen günstiger als ein Neubau. Aber auch im Neubau wäre nachhaltiges Bauen deutlich wirtschaftlicher als das aktuell übliche Bauen. Würden wir etwa zu den Kosten für Beton den tatsächlichen Energieaufwand bei der Zementproduktion mit einer angemessenen CO₂-Abgabe und den Preis, den die Umweltzerstörungen durch Kies- und Sandabbau für kommende Generationen verursachen, hinzurechnen, würde niemand auf die Idee kommen, so verschwenderisch mit diesem Material umzugehen.
Gesamtgesellschaftlich gesehen ist Nachhaltigkeit grundsätzlich wirtschaftlicher als die aktuelle Ausbeutung unserer Welt. Aktuell leihen wir uns unseren Lebensstil von unseren Kindern und, wie wir zunehmend merken, auch schon von unserer eigenen Zukunft. Auf welche Rechnung setzen wir zum Beispiel die Kosten der Starkregenereignisse im Juli und August dieses Jahres? Die Wissenschaft ist sich einig: Ereignisse wie diese werden aufgrund der Klimaveränderung in den nächsten Jahren zunehmen und kosten viel Geld und Menschenleben. Können wir es uns wirklich leisten, diesen Weg weiterzugehen?
Welche Projekte gibt es in Deutschland, die den Nachhaltigkeitsgedanken im Sinne von A4F bereits realisiert haben, und was zeichnet sie gegebenenfalls aus?
Es gibt zahlreiche Projekte, die nachhaltig realisiert wurden. Um nur einige zu nennen: Im Ökodorf Sieben Linden in Sachsen-Anhalt entstehen nur strohgedämmte Holzhäuser in kompakter Bauform, beim Recyclinghaus Hannover wurden Bauteile und Baustoffe wiederverwertet, und der Sitz der RAG-Stiftung und der RAG AG auf der Zeche Zollverein wurde kreislaufgerecht gebaut. Aktuell sind dies aber Leuchtturmprojekte und werden es bei den aktuellen politischen Rahmenbedingungen auch bleiben.
Haben Sie Hoffnung für die Zukunft? Was macht Ihnen Mut?
Hätte ich die Hoffnung in die Zukunft verloren, würde ich mich nicht engagieren, sondern mutlose Investoren-Architektur aus Beton und Styropor bauen. Ich sehe viele Projekte, die überall entstehen und sich den Fehlentwicklungen der Politik und der Konsumgesellschaft der letzten Jahrzehnte entgegenstemmen. Menschen, die sich vernetzen, um gemeinsam Veränderungen zu bewirken. Einige nur bei sich, indem sie ihr eigenes Verhalten ändern, andere, indem sie sich doch entscheiden, sich politisch zu engagieren, und weitere, die aufstehen und ihre gesamte Energie investieren, um den Wandel zu bewirken. Ich sehe lebenswerte Stadtteile entstehen, in denen Kinder wieder auf den Straßen spielen, statt Autos, die rasen und parken, wo Menschen vor der Tür sitzen, miteinander reden, streiten und feiern. Ich sehe Gemeinden und Politiker und Politikerinnen, die erkennen, dass es nicht sein muss, dass Boden an den meistbietenden Investor verkauft wird, sondern in Erbpacht an gemeinwohlorientierte Genossenschaften vergeben werden kann. Ich sehe Gebäude, die in den Baustoffen mehr CO₂ speichern, anstatt es freizusetzen, und Menschen, die merken, dass „in Gemeinschaft wohnen“ nicht unbedingt nur für Studentinnen und Studenten attraktiv ist. Ich sehe Politikerinnen und Politiker, die sich für einen Wandel einsetzen, um Soziales, Ökologie und Wirtschaft unter einen Hut zu bringen. Das alles macht mir Mut und lässt mich hoffen, dass wir jetzt gemeinsam das Ruder rumreißen, um auch in Zukunft schön leben zu können.
Text: Dirk Kirchberg, Anne Ruhrmann. Fotos: Getty Images, Adrian Nagel, PR.
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