Wind ist mehr: Die Zukunft unserer Energie
Dieser Arbeitsplatz schwankt. Er pfeift. Und für Menschen mit Höhenangst ist er nichts. Hier, in über 100 Meter Höhe, begutachtet Henry Löwenherz – ausgerüstet mit Klettergeschirr und Helm – die Rotorblätter eines Windrads auf Schäden. Weit unten wogen Baumwipfel. Löwenherz hat einen der höchsten Arbeitsplätze im Land. Gemeinsam mit Marko Bartsch ist er für die Wartung und Reparaturen am Windpark Klettwitz verantwortlich, der seit 2017 zu dem Energieanbieter enercity gehört. Hoch oben in der sogenannten Gondel, wie der Maschinenraum auf der Spitze des Windrads heißt, an dem auch die Rotorblätter befestigt sind und in dem sich die Technik des Windrads befindet, kann es Schwankungen bis zu einem Meter geben. „Da muss man schon ein bisschen seefest sein“, meint Löwenherz lachend. Sein Blick schweift in die Ferne, bis zum Horizont, auf Windräder, Wälder, Dörfer und dann auf tiefe Gruben, schwarze und graue Hügel, die sich kilometerweit hinziehen.
Ende einer 200-jährigen Ära
Der Windpark liegt mitten im Braunkohlerevier der Lausitz. Hier, rund 130 Kilometer südlich von Berlin, zeigen sich die Auswirkungen des Braunkohleabbaus auf die Natur. Aus bis zu 100 Metern Tiefe schaufelten die Bagger die Erde heraus, räumten Schicht für Schicht ab, türmten sie zu riesigen Halden auf, bis sie zur Kohle fanden. Das hat tiefe Spuren hinterlassen. Die Kraterlandschaften sind selbst aus dem All zu sehen. In Brandenburg und Sachsen gibt es derzeit noch vier aktive Tagebaue und zwei Kraftwerke. Mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2030 werden auch die letzten Anlagen stillgelegt, und damit ist die jahrhundertealte Geschichte des Braunkohleabbaus besiegelt.
Die Gemeinde Schipkau liegt inmitten der Region. 40 Jahre lang wurde auch hier Braunkohle abgebaut. Schätzungsweise rund 6300 Hektar des Gemeindegebiets fielen den stählernen Ungetümen zum Opfer. Acht Dörfer verschwanden nach und nach von der Landkarte, auch ein Teil des Ortes Klettwitz selbst. Tausende Einwohner mussten umsiedeln. Bis die riesigen Abraumbagger in weitere Teile des Ortes vorrücken würden, war eigentlich nur eine Frage der Zeit. Doch es kam anders.
Henry LöwenherzWindpark-Manager, Windpark Klettwitz„Wäre die deutsche Wiedervereinigung nicht gekommen, gäbe es meine Heimat nicht mehr.“
Eine Region im Wandel
„Wäre die deutsche Wiedervereinigung nicht gekommen, gäbe es meine Heimat nicht mehr“, so Henry Löwenherz. Löwenherz ist gebürtiger Klettwitzer. Der Ingenieur war einer von denen, die mit ihrer Arbeit dazu beitrugen, dass in den ostdeutschen Städten die Lichter nicht ausgingen. In der Forschungsabteilung des örtlichen Braunkohlekombinats hat er an der computergesteuerten Wiederaufarbeitung der Formzeuge zum Pressen der Kohlebriketts mitgewirkt. 1991 war plötzlich Schluss. Die rentablen Tagebaue und die zugehörigen Kraftwerke wurden privatisiert, Betriebe in der Region über Nacht stillgelegt.
Nachdem die Kohle weg war, blutete die Region fast aus. Junge Menschen zogen weg. Die Arbeitslosenquote wurde zweistellig. Ausgerechnet auf dieser einstigen Stätte fossilen Raubbaus ist in den vergangenen 20 Jahren eine Musterregion für Windkraft entstanden – und damit ein Vorzeigeprojekt für den schleichenden Strukturwandel im Osten der Bundesrepublik: Auf dem Gelände des ehemaligen Tagebaus Klettwitz wurden erstmals im Jahr 1999 Windenergieanlagen errichtet. Über mehrere Jahre entstanden bis 2017 zunächst 13 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 30,4 Megawatt. Damit galt der Park in Klettwitz lange Zeit als der leistungsstärkste Onshore-Windpark in Europa. Henry Löwenherz durfte deshalb Delegationen aus der ganzen Welt durch den Park führen.
Neue und alte Windkraftanlagen im Vergleich
Eine hochmoderne Windkraftanlage mit einer Nabenhöhe von 141 Meter und einem Rotordurchmesser von 117 Meter versorgt mit 9.250.000 Kilowattstunden pro Jahr 3700 Haushalte. Zum Vergleich: Die Nabenhöhe von Windkraftanlagen aus dem Jahr 1990 betrug lediglich 40 Meter, ihr Rotordurchmesser nur 32 Meter. Diese alten Windkraftanlagen versorgten mit 450.000 Kilowattstunden pro Jahr jeweils gerade einmal 180 Haushalte.
Windkraftausbau ist Programm
Mittlerweile gibt es – beispielsweise in den Niederlanden oder in Rumänien – größere Anlagen. Der Windpark Klettwitz wächst dennoch kontinuierlich weiter: Anfang 2020 ergänzten bereits zehn weitere Vestas-Anlagen mit jeweils 3,3 Megawatt Nennleistung den bestehenden Park. 2022 sollen nochmals sieben Vestas-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 29,4 Megawatt in Betrieb genommen werden.
Der kontinuierliche Windkraftausbau ist bei enercity Programm: Bis zum Jahr 2035 will das Unternehmen den Anteil des erneuerbaren Stroms auf 50 Prozent erhöhen. Dem ehrgeizigen Ziel kommt enercity stetig näher: Insgesamt liegt die installierte Leistung von enercity-Windkraftanlagen heute bei 345 Megawatt. Dank einer jährlichen Stromproduktion von 628 Gigawattstunden versorgt das Unternehmen damit bereits umgerechnet mehr als 250.000 private Haushalte mit Naturstrom aus Windenergie. Der Plan: Schon bis zum Jahr 2030 soll die jährliche Stromproduktion auf 2000 Gigawattstunden steigen, das entspräche einer Belieferung von rund 800.000 Haushalten.
Wissenswert: In unserem Beitrag haben wir fünf phänomenale Fakten über Windenergie für Sie zusammengefasst.
Um die ambitionierten Ziele erreichen zu können, setzt enercity auch abseits von Klettwitz auf Expansion: 2019 etwa übernahm das Unternehmen den Windkraft-Projektentwickler Gamesa Energie Deutschland (GED) von Siemens Gamesa und dessen Windkraftanlage in Ganderkesee. 2021 sollen die ersten Projekte aus der GED-Pipeline in Betrieb gehen.
Windkraft bringt erhebliche finanzielle Vorteile
Immer wieder hört man von Widerständen bei der Errichtung von Windparks. Nicht so beim Bau und der anschließenden Erweiterung des Windparks Klettwitz. Das hat einen guten Grund: enercity hat in Klettwitz ein Bürgerbeteiligungsmodell aufgesetzt, das sicherstellt, dass alle vom erzeugten Windstrom profitieren. Für die Gemeinde Klettwitz bedeutet der Windpark neue Arbeitsplätze, sprudelnde Gewerbesteuern und Pachteinnahmen. Für die Einwohnerschaft bringt er erhebliche finanzielle Vorteile – denn alle zwei Jahre schüttet die Windparkgesellschaft zusätzlich rund 500.000 Euro direkt an die Bürger aus. Das ist in Brandenburg einmalig.
Einmalig ist auch immer wieder die Aussicht für Henry Löwenherz hoch oben auf der Gondel. Jedes Mal, wenn er den Blick zum Horizont schweifen lässt, fühlt er sich erneut bestätigt, dass es damals das Richtige war, zu bleiben und mit anzupacken*.
Windkraft kurz erklärt
Starke Luftbewegungen entstehen durch die ungleiche Sonneneinstrahlung auf der Erde, die zu Temperaturdifferenzen führt. Daraus entwickeln sich Luftdruckunterschiede, die zum Ausgleich drängen – Wind. Die Rotoren der Windenergieanlagen setzen die Kraft des Windes in ein Drehmoment um, aus dem eine Turbine Strom macht. Im Prinzip genau wie beim Fahrraddynamo. Windmühlen gibt es seit dem Altertum. Damals wurde die Kraft des Windes allerdings in mechanische Energie umgewandelt, die anfangs vor allem dazu diente, Getreide zu mahlen, später aber auch in vielen anderen Bereichen zum Einsatz kam. Nach der Erfindung des elektrischen Generators im Jahr 1831 und der Kenntnis darüber, wie sich Bewegungsenergie in elektrische Energie umwandeln lässt, dauerte es dann nicht mehr lange, bis die Windenergie auch zur Stromerzeugung genutzt wurde. Die ersten Windkraftanlagen wurden schon im späten 19. Jahrhundert errichtet.
*Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde ursprünglich für den enercity-Geschäftsbericht 2018 produziert. Henry Löwenherz ist inzwischen in den wohlverdienten Ruhestand gegangen.
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