Wasserkraft: So wird aus Wasser Strom
Die Ausmaße des Bauwerks sind gigantisch: Über eine Länge von 700 Metern erstreckt sich der fast 200 Meter hohe Staudamm des Kárahnjúkar-Wasserkraftwerks im Osten Islands. Für die Anlage stauen Dämme und Mauern zwei Flüsse zu mehreren Reservoirs mit einer Fläche von insgesamt 57 Quadratkilometern auf. Seit seiner Inbetriebnahme 2007 produziert das isländische Riesen-Wasserkraftwerk jedes Jahr CO₂-frei 4800 Gigawattstunden Strom. Dafür strömt das aufgestaute Wasser über bis zu 40 Kilometer lange Tunnel zu einer Turbinenanlage, wo es 400 Meter in die Tiefe fällt.
Gemessen an der installierten Leistung ist das isländische Kárahnjúkar-Wasserkraftwerk eines der größten in Europa. Im weltweiten Vergleich ist es dagegen sogar eher klein: Nach Angaben der U.S. Energy Information Administration sind neun der zehn größten Kraftwerke überhaupt Wasserkraftwerke. Sie liefern teils so viel Strom wie mehrere Atomkraftwerke zusammen. Bäche, Flüsse, Seen und sogar Ozeane gehören zu den wichtigsten Energielieferanten der Menschheit.
Wasserkraft: Eine der wichtigsten Energiequellen
Wasserkraft ist heute – nach Kohle und Erdgas, aber noch vor der Atomenergie – die global gesehen drittwichtigste Energiequelle für die Stromerzeugung. Sie deckt mehr als 16 Prozent des weltweiten Strombedarfs. Vor allem China und Brasilien gewinnen große Mengen von elektrischem Strom aus Wasser. Norwegen und Island decken sogar quasi ihren gesamten Bedarf komplett aus Wasserkraft. In Deutschland sind laut Umweltbundesamt rund 7600 Wasserkraftanlagen installiert, die 3,6 Prozent zur Stromversorgung beitragen. Wie ein Wasserkraftwerk genau funktioniert, erklären wir hier.
Wasserkraftwerke bedeuten teils erhebliche Eingriffe in die Natur und die Landschaft. Je größer ein Projekt ist, desto sorgfältiger muss darum seine Ökobilanz abgewogen werden. Die Anlagen sind zudem meist mit hohen Baukosten verbunden, und sie brauchen viel Platz. Ihr Betrieb jedoch ist vergleichsweise kostengünstig. Sie nutzen die Ressource Wasser, ohne sie zu verbrauchen. Und sie stoßen während der Stromproduktion keinerlei klimaschädliche Gase aus.
Doch wie gewinnt man eigentlich Strom aus Wasserkraft? Egal, mit welcher Technik: Das Grundprinzip ist immer gleich. Wasserkraftwerke nutzen die Bewegungsenergie von Wasser. Wenn es über dem Meeresspiegel liegt, strömt es abwärts ins Meer. Oder es bewegt sich wegen der Gezeiten im Meer vor und zurück. Dazu kommt oft noch die sogenannte Lageenergie, also die Energie, die freigesetzt wird, wenn Wasser in einem Kraftwerk von oben auf Turbinen fällt. Ob durch Bewegungs- oder Lageenergie: In beiden Fällen versetzt das Wasser die rotierenden Schrauben der Turbinen in Bewegung, die wiederum einen Generator zur Stromerzeugung antreiben. So lässt sich die im Wasser enthaltene Energie in elektrischen Strom transformieren.
Wie viel Strom sich aus Wasserkraft erzeugen lässt, hängt dabei von der Menge des genutzten Wassers ab und von den geografischen Verhältnissen vor Ort – also von den jeweils herrschenden Höhenunterschieden und Fließgeschwindigkeiten. Und natürlich von der genutzten Technologie in den unterschiedlichen Typen von Wasserkraftwerken, mit denen sich die regenerative Energiequelle Wasser nutzen lässt.
Diese Arten von Wasserkraftwerken gibt es
Laufwasser- oder Flusskraftwerke sind am weitesten verbreitet. Sie kommen an Flüssen zum Einsatz, die meist aufgestaut werden, um den Energiegehalt des Wassers zu steigern. Über Staustufen wird das Wasser in ihnen durch Turbinen geleitet, die kontinuierlich Strom erzeugen. Oberhalb des Stauwehrs fließt dabei stets so viel Wasser zu, wie unterhalb des Kraftwerks abfließt. Das unterscheidet diesen Typ von den ebenfalls weitverbreiteten Speicherkraftwerken, bei denen ein natürlicher Bergsee oder ein Stausee das Wasser auffängt, das in regenreichen Jahreszeiten über Flüsse ankommt. Dabei strömt mehr Wasser hinzu als abfließt. In trockenen Jahreszeiten ist es dann umgekehrt. Das aufgestaute Wasser vermeidet Hochwasser flussabwärts und lässt sich zudem als Trinkwasser nutzen.
Eine spezielle Form sind Pumpspeicherkraftwerke, bei denen Wasser über elektrische Pumpen in ein höhergelegenes Reservoir gehoben wird. So lässt sich Energie zwischenspeichern. Bei Bedarf wird es wieder nach unten abgelassen, wobei es eine Turbine antreibt. Pumpspeicherkraftwerke sind die wichtigste Technik, um in nachfrageschwachen Zeiten ein größeres Energie-Überangebot aufzunehmen und bei Spitzenlast wieder ins Netz abzugeben.
Während die weitverbreiteten Laufwasserkraftwerke und Speicherkraftwerke Flüsse und Seen zur Stromproduktion nutzen, sind Meere als Energiequellen weitgehend unerschlossen – und das, obwohl hier ein riesiges Potenzial schlummert. Ein erster Versuch, dieses zur Stromerzeugung zu nutzen, sind Gezeitenkraftwerke. Sie nutzen den Tidenhub des Meeres, also den Unterschied zwischen Ebbe und Flut. Dabei sind Turbinen in Staudämmen an Meeresbuchten oder in Flussmündungen installiert, wo die Gezeiten besonders viel Kraft entwickeln und den Wasserspiegel stark heben und senken. Wie bei Windrädern unter Wasser treibt die Meeresströmung die Turbinenschaufeln an – und zwar, um sowohl Ebbe als auch Flut ausnutzen zu können, umschaltbar zwischen zwei Richtungen, vorwärts und rückwärts. Neben Kanada, China, Russland und Südkorea gibt es auch in Frankreich ein solches Werk. Das bereits 1966 in Betrieb genommene Gezeitenkraftwerk Rance steht an der Atlantikküste in der Mündung des Flusses Rance, wo der Tidenhub zwölf, manchmal sogar 16 Meter beträgt.
Ähnlich wie Gezeitenkraftwerke arbeiten auch Wellenkraftwerke, bei denen Turbinen die kontinuierliche Bewegung von Meereswellen in elektrischen Strom umwandeln. Noch ist keine derartige Anlage in regulärem Betrieb, aber einige Versuchsanlagen sind bereits im Einsatz.
Wasserkraft kann den Klimawandel ausgleichen
Weil sich neue Großanlagen vielerorts nur noch schwer durchsetzen lassen, plädieren Fachleute dafür, lieber die bestehenden Wasserkraftwerke zu optimieren – etwa durch verbessertes Strömungsdesign oder effizientere Turbinen. Durch solche Effizienzsteigerungen ließen sich auch die negativen Auswirkungen des Klimawandels ausgleichen. Denn der führt dazu, dass Flüsse weniger Wasser mit sich führen, was die Stromproduktion in Wasserkraftwerken drosselt. Und auch Dämme und Stauseen bieten noch Potenzial: Nach Branchenschätzungen werden weltweit 85 Prozent von ihnen noch gar nicht zur Stromproduktion genutzt. Sie stauen einfach nur Wasser zur Trinkwasserversorgung oder um Hochwasser zu regulieren.
Anstelle von mehr oder minder großen Anlagen könnte sich Wasserkraft künftig auch über einen ganz anderen Ansatz nutzen lassen: durch modulare Systeme aus mehreren Turbinen und Generatoren, die auf unterschiedliche Standorte verteilt und miteinander vernetzt sind. Daran forscht zurzeit etwa das US-amerikanische Oak Ridge National Laboratory im Auftrag des US-Energieministeriums. Solche Baukasten-Anlagen, so die Forscher, beeinflussen die Umwelt weniger stark als Großanlagen. Und sie lassen sich leichter in die Landschaft integrieren. Oder gleich unter die Erde verlegen. Denn das deutsche Unternehmen Blue Synergy tüftelt, mit Unterstützung des Bundesforschungsministeriums, an Modulsystemen in Abwasserkanälen. Die stören niemanden. Sie produzieren dezentral direkt vor der Haustür der Verbraucher anstatt in abgelegenen Regionen wie die meisten herkömmlichen Wasserkraftwerke. Und sie könnten sogar jene Städte an Wasserkraft teilhaben lassen, die gar nicht an irgendeinem Bach, Fluss, See oder Meer liegen.
Wasserkraft: Die „weiße Kohle“
Das Nutzen von Wasserkraft ist eine jahrtausendealte Technik. Schon vor 5000 Jahren bewässerten Bauern in China oder im alten Ägypten mit den ersten Wasserschöpfrädern an Flüssen und Bächen ihre Felder. In der Antike trieben die Griechen und Römer dann bereits unterschiedliche Arbeitsmaschinen mit Wasserkraft an. So wurde die Technologie über die Jahrhunderte immer weiter verfeinert. Ende des 18. Jahrhunderts gab es allein in Europa geschätzt eine halbe Million Wassermühlen. Neben Getreidemühlen waren dies auch Sägeanlagen oder Hammerwerke. So wurde das Wasser zu einer der Kraftquellen für die Industrialisierung.
Doch erst Anfang des 20. Jahrhunderts – nach der Erfindung des Generators im Jahr 1866 – war es möglich, Wasserkraft in elektrischen Strom umzuwandeln. Schon 1880 ging im englischen Northumberland das erste Wasserkraftwerk in Betrieb. Die Technik wurde schnell so erfolgreich, dass Anfang des 20. Jahrhunderts in Frankreich sogar mehrere Konferenzen zur „weißen Kohle“ stattfanden. So wurde die Wasserkraft damals genannt – wegen der weißen Schaumkronen auf den Flüssen, die aus den Bergen in die Tiefe strömen.
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