Aufnahme der Wulbeck aus der Vogelperspektive
Ein Gewinn für Mensch und Natur

Flüsse im Wandel: Renaturierung von Wasseradern

Der Mensch hat viele Jahrhunderte Fließgewässer und Auenlandschaften modifiziert, um Land für Siedlungen, Landwirtschaft und andere Zwecke zu nutzen. Diese Eingriffe haben jedoch oft ökologische und soziale Folgen, die besonders in Zeiten des Klimawandels deutlich werden. Die Renaturierung dieser Gebiete bietet eine Chance, die Natur wiederherzustellen und gleichzeitig ihre Resilienz gegenüber klimatischen Extremen zu stärken.

Veränderung der Natur für menschliche Bedürfnisse

Um die Landwirtschaft zu intensivieren und Siedlungsraum zu schaffen, wurden in der Vergangenheit zahlreiche Flüsse und Auen in Deutschland und anderen europäischen Ländern umgestaltet. Diese Begradigungen – oder Denaturierungen – hatten oft kurzfristige Vorteile: Sie verbesserten zum Beispiel die Verkehrswege für die Schifffahrt und machten mehr Flächen landwirtschaftlich nutzbar. Doch diese Eingriffe in natürliche Ökosysteme haben langfristig auch negative Folgen. Sind natürliche Retentionsräume verbaut – also Gebiete, die bei einem Hochwasser überflutet werden und dadurch den Wasserstand im Fluss absenken –, kann dies dazu führen, dass das Hochwasser schneller abfließt und flussabwärts größere Überschwemmungen verursacht. Die Trockenlegung von Auen und Mooren hat darüber hinaus wichtige Lebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten zerstört. Die veränderte Landschaft begünstigt außerdem die Bodenerosion und verringert die Fähigkeit des Bodens, Wasser zu speichern, was besonders während Trockenperioden problematisch wird.

 

Gut zu wissen: Flussauen sind grüne Uferlandschaften entlang von Flüssen, die eine Vielzahl wichtiger Funktionen im Naturhaushalt erfüllen. Sie entstehen durch den natürlichen Wechsel zwischen Hoch- und Niedrigwasser, der für die Ausgestaltung des Flussbettes und der umliegenden Landschaft sorgt.

Abgestorbene Äste und Bäume ragen aus einem naturbelassenen Gewässer heraus
Natürliche Flussbetten des Tieflands verlaufen nicht geradlinig. Sie weisen Bäume und Verästelungen auf.

Renaturierung – was bedeutet das eigentlich?

Renaturierung zielt darauf ab, die natürlichen Funktionen von Flusslandschaften wiederherzustellen. Dämme zu entfernen und natürliche Flussläufe und Auen wiederherzustellen sind zwei solcher Maßnahmen. Renaturierungsprojekte können sowohl auf lokaler als auch auf regionaler Ebene durchgeführt werden.

Das sind die ökologischen Vorteile der Renaturierung von Flüssen und Auen:

  • Selbstreinigung und Wasserqualität: Flüsse und ihre Auen wirken wie natürliche Kläranlagen. Die Kies- und Sandschichten im Flussbett und die darin lebenden Muscheln, Schnecken, Würmer, Insekten und verschiedenste Bakterien filtern das Wasser, indem sie Schadstoffe wie Phosphate und Nitrate aufnehmen und umwandeln – wodurch wiederum die Wasserqualität verbessert wird.

 

  • Beitrag zur Klimaanpassung: Naturnahe Fließgewässer verbessern das Mikroklima und die Luftqualität. Sie filtern Luftschadstoffe und reduzieren Feinstaub. In dicht besiedelten Gebieten senken sie durch Verdunstung besonders an heißen Tagen die Temperaturen und tragen so zur Kühlung von Städten bei. Uferbäume beschatten den Boden und verstärken den Kühleffekt durch Verdunstung von ihrer Blattoberfläche zusätzlich.

 

  • Gesund für Menschen: Natürliche, schattige Flussläufe haben einen hohen Erholungswert und fördern die Gesundheit.

 

  • Artenvielfalt: Renaturierungsmaßnahmen verbessern die Lebensbedingungen im und am Wasser und können die Artenvielfalt deutlich erhöhen, wie verschiedene bereits umgesetzte Projekte gezeigt haben. Ein Beispiel ist die Fischerhuder Wümmeniederung bei Bremen: Laut Umweltbundesamt haben dort in den letzten Jahren wasserliebende Brut- und Rastvögel sowie Lachse und Otter wieder neuen Lebensraum gefunden.

 

  • Hochwasserschutz: Flussauen dienen als natürlicher Hochwasserschutz. Bei Hochwasser breitet sich der Fluss in die Aue aus, was die Hochwasserspitzen effektiv vermindert. Durch Renaturierungsmaßnahmen lassen sich Überschwemmungsflächen wiederherstellen und somit Hochwasserrisiken deutlich reduzieren.
Naturbelassenes Gewässer

Zahlreiche Nebenwasserstraßen, die ursprünglich für die Schifffahrt denaturiert wurden, werden heute nicht mehr als Verkehrswege genutzt. Mit Blick auf die oben genannten ökologischen Vorteile bieten sich diese besonders für Renaturierungen an. Das Bundesprogramm „Blaues Band Deutschland“ sieht deshalb Renaturierungen im Netz der Bundeswasserstraßen vor. Hier geht’s zur Projektlandkarte.

8.300
Wasserkraftanalgen
leisten in Deutschland einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Energieversorgung.

In Deutschland leisten aktuell 8300 Wasserkraftanlagen einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Energieversorgung. Durch gezielt renaturierte Uferbereiche, gestaltete Umgehungsrinnen, Fischwanderhilfen und wieder angebundene Zuläufe können solche Kraftwerke heute sehr viel naturverträglicher arbeiten als in der Vergangenheit. Mehr über die Funktionsweise von Wasserkraftwerken erfahren Sie in unserem Ratgeber.

Welche Maßnahmen an Renaturierung gibt es?

Verschiedene Faktoren bestimmen, welche Art der Renaturierung für ein Gewässer infrage kommt. Kann der Gewässerlauf aufgrund angrenzender Gebäude oder Nutzungsansprüche nicht verändert werden, bieten sich eher kleinräumige Maßnahmen an, um Habitate zu verbessern. Dazu zählt insbesondere, gepflasterte oder betonierte Ufersicherungen zu entfernen oder natürliche Alternativen zu forcieren – zum Beispiel durch Bepflanzung oder Sedimentablagerung. Zudem kann es sinnvoll sein, verankertes Holz oder Störsteine in das Gewässer einzubauen, um vielfältige Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu schaffen.

Besteht hingegen die Möglichkeit, das Gewässerprofil zu verändern, können noch weitere Maßnahmen umgesetzt werden. Dazu zählen etwa das Abflachen der Ufer und Gewässernahbereiche, in denen sich das Gewässer selbstständig entwickeln kann. Zusätzlich können einzelne Flussbögen wiederhergestellt und Strömungslenker wie Steinschüttungen eingebaut werden. Letztere können auch dazu beitragen, das Flussbett wieder zu verengen, wenn es in der Vergangenheit unnatürlich verbreitert wurde.

Zwei Grafiken zeigen ein Gewässer vor und nach der Renaturierung
Ist um das Gewässer herum genügend Platz vorhanden, können die Ufer abgeflacht und neu strukturiert sowie Strömungslenker eingebaut werden. All diese Maßnahmen fördern die eigendynamische Entwicklung des Gewässers.

Im Idealfall grenzt das zu renaturierende Gewässer an keinerlei Flächen, die Nutzungsansprüchen unterliegen. In einem solchen Fall lässt sich die Sicherung und Ausweitung naturnaher Auenwälder gezielt fördern, und es ist möglich, beispielsweise Deiche zurückzuverlegen. Weiterhin können neue Seitenarme am Gewässer angelegt oder bereits verlandete Altarme reaktiviert werden.

Aufnahme der Wulbeck aus der Vogelperspektive
Im Rahmen von Renaturierungsmaßnahmen wurde die Wulbeck auf einer Länge von 3,2 Kilometern naturnah gestaltet.

enercity investiert in Grundwasserschutzgebiet

Neben den genannten Vorteilen wirken sich Renaturierungen von Bächen und Flüssen auch positiv auf den natürlichen Wasserspeicher aus: das Grundwasser. Insbesondere im Zuge des Klimawandels bietet es eine wichtige Pufferfunktion bei häufigen oder langen Trockenphasen, die auch in Niedersachsen zu erwarten sind.

 

Als Trinkwasserversorger von rund 700.000 Menschen in der Region Hannover fördert enercity Grundwasser aus dem Fuhrberger Feld, das mit rund 30.400 Hektar größte zusammenhängende Grundwasserschutzgebiet Norddeutschlands. Rund 45 Prozent davon sind Wald. Um die wertvolle Ressource Wasser in dem überwiegend land- und forstwirtschaftlich geprägten Gebiet nachhaltig zu sichern, investiert enercity seit mehreren Jahrzehnten in eine nachhaltige Grundwasserbewirtschaftung. Einer von mehreren Ansätzen dabei ist der systematische Umbau des Waldes: Auf rund 4300 Hektar Nadelwald sind seit den 1990er Jahren gut 18 Millionen Laubbäume wie Buchen, Rot- und Stieleichen gepflanzt worden.

Renaturierung der Wulbeck hält Wasser für Trockenzeiten

Ein weiteres Kernprojekt, um das Grundwasser in der Landschaft zu halten, ist die Renaturierung an der örtlichen Wulbeck. Der Nebenbach der Wietze fließt durch das Zentrum des Trinkwassergewinnungsgebietes Fuhrberger Feld. „Das Gebiet liegt im Aller-Urstromtal. Hier finden wir tiefgründige, sehr sandige Bodenschichten“, erklärt Michael Eichholz, enercity-Experte für natürliche Wasserbewirtschaftung. In Zeiten starker Trockenheit sei es natürlich, dass die Bäche hier sehr niedrige Wasserstände hätten und zeitweise trockenfielen.

 

Um dem entgegenzusteuern, hat enercity in Kooperation mit dem örtlichen Unterhaltungsverband Wietze zwei miteinander verbundene Maßnahmen umgesetzt. Unter anderem wurde die Wulbeck auf einer Länge von 3,2 Kilometern naturnah gestaltet. „Um auch in Trockenperioden möglichst einen Bachlauf zu haben, haben wir die Sohle des Flussbettes abschnittweise verengt“, berichtet Eichholz. So bleibt künftig auch bei Niedrigwasser immer noch Wasser im Fluss. Zusätzlich ist das Flussbett mit Kies und Steinen, Wurzelstubben und Baumstämmen ausgestaltet worden. Diese bremsen als Strömungslenker den Wasserfluss und bieten Fischen und Kleinlebewesen einen natürlichen Lebensraum.

Graben leitet Hochwasser in die Wälder um

Zudem hat enercity im Bereich des Fuhrberger Felds einen Verbindungsgraben errichtet, der das überschüssige Wasser bei Hochwasser in Wälder des Wassergewinnungsgebiets umleitet. Hier versickert das Wasser langsam in das Grundwasser. „Durch diese Maßnahme konnten wir seit 2009 mehr als 13 Millionen Kubikmeter Wasser zurückhalten – das entspricht mehr als der siebenfachen Menge des Maschsees in Hannover. Das hat die Grundwasserneubildung gefördert, aber auch geholfen, Hochwasserspitzen abzupuffern“, erläutert Eichholz.

 

Weitere Informationen zu den zahlreichen Wasserprojekten und der neuen Wasserstiftung von enercity finden Sie in unserem Artikel „Wasser ist Leben“.

Höchste Trinkwasserqualität

enercity Wasser unterschreitet die strengen Grenzwerte der Trinkwasserverordnung in allen Punkten. Dabei stehen Wasser- und Naturschutz stets im Vordergrund, damit Sie die höchste Wasserqualität erhalten.

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Weitere Fragen zur Renaturierung von Flüssen und Auen beantworten wir in unseren FAQs:


Was ist das Ziel der Renaturierung von Flüssen und Auen?

Durch die Renaturierung von Flüssen und Auen soll der ökologische Zustand der Gewässer und ihrer Uferzonen verbessert werden. Gleichzeitig gilt es dabei, die Interessen verschiedener Anspruchsgruppen zu berücksichtigen. Zu diesen Interessengruppen zählen Schifffahrt und Wasserkraftnutzung, Erholung und Tourismus, Stadtentwicklung sowie Land- und Forstwirtschaft. Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) erfordert europaweit die Erreichung guter ökologischer Zustände, und die Gewässerrenaturierung ist ein entscheidender Schritt dafür.



Wie funktioniert die Renaturierung von Flüssen?

Bei jeder Renaturierung wird der ursprüngliche Zustand des Gewässers mit den praktisch umsetzbaren Möglichkeiten verglichen, um ein realistisches Ziel für die Entwicklung festzulegen. Als entscheidender Anhaltspunkt für die gewählten Renaturierungsmaßnahmen gilt das Gewässerleitbild, das festlegt, ob es sich um ein Gewässer im norddeutschen Flachland, in einem Mittelgebirge oder in den Alpen beziehungsweise im Alpenvorland handelt. Die Planung und Umsetzung solcher Renaturierungsprojekte kann zeitaufwendig sein, und es kann viele Jahre dauern, bis ein Fließgewässer wieder einen naturnäheren Zustand erreicht.



Ist eine Renaturierung überall möglich?

Ja, die Renaturierung von Fließgewässern ist fast überall und in dicht bebauten städtischen Gebieten sogar auf kleinstem Raum möglich. Denn dynamische Gewässer können sich selbst regenerieren, wenn man ihnen Entwicklungsraum gibt und den Renaturierungsprozess mit ersten Maßnahmen unterstützt. Hierzu zählen zum Beispiel der Einbau von Strukturelementen wie Totholz oder die (Wieder-)Herstellung einer natürlichen Gewässersohle.



Was ist der Unterschied zwischen Rekultivierung und Renaturierung?

Sowohl Rekultivierung als auch Renaturierung sind Begriffe, die Verfahren zur Herstellung eines verbesserten Flächenzustandes beschreiben, der durch menschliche Aktivitäten beeinträchtigt wurde. Ihre Ansätze und die Ziele, die sie verfolgen, sind jedoch unterschiedlich.

Renaturierung zielt darauf ab, ein Ökosystem so weit wie möglich in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuführen. Dies beinhaltet die Wiederherstellung der natürlichen Strukturen und Funktionen des Ökosystems, um die Biodiversität zu fördern und natürliche Prozesse wiederherzustellen.

Rekultivierung hingegen bezieht sich auf die Wiederherstellung eines Ökosystems oder eines Geländes, das durch industrielle Nutzung oder Bergbau beschädigt wurde, mit dem Ziel, das Land wieder land- oder forstwirtschaftlich nutzbar zu machen oder für eine intensive Erholungsnutzung zur Verfügung zu stellen. Dies kann die Verbesserung der Bodenqualität oder das Anpflanzen von Vegetation umfassen.



Welcher Fluss wurde renaturiert?

In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland zahlreiche Renaturierungsprojekte initiiert und durchgeführt, unter anderem an Flüssen wie Oder, Elbe, Donau, Isar, Emscher, Boye und Nidda. An der Wulbeck, einem Nebenfluss der Wietze in der Region Hannover, wurde in Zusammenarbeit des Unterhaltungsverbands Wietze und enercity ein Teilstück erfolgreich renaturiert. Dort wurden, wie bei fast allen Fließgewässerrenaturierungen, Fördermittel der EU, vom Bund und Land eingesetzt.



Was kostet eine Renaturierung?

Die Kosten für die Renaturierung von Gewässern variieren stark. Einfache Maßnahmen kosten zwischen 25 und 100 Euro pro Meter Flusslänge, umfangreiche Arbeiten im Ufer- und Sohlenbereich schlagen dagegen mit bis zu 200 Euro pro Meter Flusslänge zu Buche. Die gute Nachricht: Laut einer Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) weisen bereits kostengünstige Maßnahmen ohne Gewässerumbau ein sehr gutes Kosten-Wirksamkeits-Verhältnis auf


11. September 2024
Klimaschutz
Trinkwasser

Text: Sophie Makkus Bilder: Getty Images

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