Das Wasserstoff-Kernnetz nimmt Gestalt an
Die Errichtung des Wasserstoff-Kernnetzes stellt den ersten Schritt zum Aufbau einer bundesweiten Wasserstoff-Infrastruktur dar, wie ihn die Bundesregierung vorsieht. Das Kernnetz bildet das Grundgerüst, das die wesentlichen Wasserstoff-Standorte bundesweit miteinander verbindet. Als „Bundesautobahnen der künftigen Wasserstoff-Infrastruktur“ sei das Kernnetz eine zentrale Zukunftsinfrastruktur, „ohne die eine weitere Dekarbonisierung unserer Energieversorgung sowie wichtiger Industriezweige nicht gelingen kann“, heißt es dazu aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Hoffnungsträger Wasserstoff
Dem Energieträger Wasserstoff kommt, wenn er mit klimafreundlichen Methoden erzeugt wird, bei der Umstellung der deutschen Energiesysteme eine wichtige Rolle zu. Zwar ist Wasserstoff nicht immer der bestmögliche Weg, um fossile Energieträger abzulösen – viele Bereiche wie etwa der private Autoverkehr können besser durch den direkten Umstieg auf umweltfreundlich erzeugten Strom transformiert werden. Doch einige energieintensive Industrien wie etwa die chemische Industrie oder die Stahlindustrie können ihre Prozesse nicht ohne Weiteres elektrifizieren.
Hier kommt Wasserstoff ins Spiel: Er kann mithilfe regenerativer Energien erzeugt, gut gespeichert und transportiert werden und als alternativer Brennstoff fossile Brennstoffe wie Erdöl, Kohle oder Erdgas ersetzen. Dies ist auch für Bereiche wie etwa den Schwerlastverkehr oder den Luft-, Schienen- und Seeverkehr relevant. Zudem stellt die Umrüstung heutiger Gaskraftwerke auf grünen Wasserstoff einen wichtigen Baustein der Energiewende dar.
Grundlage für den Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur: Die nationale Wasserstoffstrategie
Die erste nationale Wasserstoffstrategie (NWS) stammt aus dem Jahr 2020. Im Juli 2023 hat die Bundesregierung ihre Fortschreibung veröffentlicht. Die Strategie bildet den Rahmen für den Hochlauf der Wasserstoff-Infrastruktur in Deutschland und definiert kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen, die dabei helfen sollen, Produktionsstätten im Land zu errichten und einen Heimatmarkt für Wasserstoff zu etablieren, aber auch den Import von Wasserstoff aus anderen Ländern zu ermöglichen und zu steigern.
Die Errichtung eines Leitungsnetzes für den Transport von Wasserstoff gehört ebenso zur Strategie wie die Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Marktakteure. Etwa 30 bis 50 Prozent des zukünftig benötigten Wasserstoffs sollen in Deutschland selbst hergestellt werden. Hierzu soll Deutschland seine Erzeugungskapazität für Wasserstoff bis 2030 auf 10 Gigawatt ausbauen.
Erste Leitungen schon ab 2025: Das ist der Planungsstand zum Wasserstoff-Kernnetz
Das Wasserstoff-Kernnetz soll bis 2037 komplett in Betrieb sein, erste Leitungen sogar schon ab 2025. Hierzu sind diverse Schritte nötig.
- Die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas (FNB Gas) hat im Sommer 2023 erste Planungen veröffentlicht und potenziellen weiteren Wasserstoffnetzbetreibern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
- Deren Rückmeldungen sind in den Antragsentwurf zum Wasserstoff-Kernnetz eingeflossen, den die FNB Gas im November 2023 an das BMWK und die Bundesnetzagentur (BNetzA) übermittelt haben.
- Die BNetzA hat ihrerseits bis zum 08. Januar 2024 in einem Konsultationsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Rückmeldungen der Stakeholder sind geprüft worden und in die Überarbeitung des Antragsentwurfes eingeflossen.
- Parallel zur Antragsstellung durch die Fernleitungsnetzbetreiber hat die Bundesregierung eine Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) auf den Weg gebracht, die den rechtlichen Rahmen und die Finanzierung für die Errichtung und den Betrieb des Wasserstoff-Kernnetzes regelt.
- Die von der Bundesregierung geplante Förderregelung in Höhe von drei Milliarden Euro für die Errichtung des Wasserstoff-Kernnetzes muss laut der Neufassung des EnWG durch die Europäische Kommission genehmigt worden sein, bevor der Antrag offiziell gestellt werden kann.
- Diese sogenannte beihilferechtliche Genehmigung hat die Europäische Kommission am 21. Juni 2024 erteilt.
- Nun haben die FNB Gas bis zum 22. Juli 2024 Zeit, den finalen Antrag zur Errichtung des Wasserstoff-Kernnetzes zu erstellen und bei der BNetzA einzureichen.
- Maximal zwei Monate soll es dann von der Antragsstellung bis zur Genehmigung durch die BNetzA dauern. Die Konsultationen im Vorfeld ermöglichen einen schnellen Genehmigungsprozess.
Grundsätzlich gilt: Das Wasserstoff-Kernnetz bildet nur die erste Stufe des Ausbauverfahrens. In einer zweiten Ausbaustufe soll das Wasserstoffnetz dann auch in die Fläche gebracht werden. Hierzu soll ab 2025 alle zwei Jahre eine integrierte Netzentwicklungsplanung für Wasserstoff und Erdgas erfolgen, die die verbleibenden Bedarfe für Erdgas und die steigenden Bedarfe für Wasserstoff berücksichtigt. Der erste integrierte Netzentwicklungsplan Gas und Wasserstoff soll bis Ende Mai 2025 vorgelegt werden.
Wie groß wird das geplante Wasserstoff-Kernnetz?
Nach aktuellem Planungsstand wird das Wasserstoff-Kernnetz rund 9.700 Kilometer Leitungen umfassen. Dabei müssen nicht alle Leitungen neu errichtet werden: Rund 60 Prozent der geplanten Gesamtlänge sind keine neu zu errichtenden Leitungen, sondern Umstellungen von Leitungen, die derzeit für den Erdgastransport ausgelegt sind und auf den Wasserstoffbetrieb umgerüstet werden. Zu diesen Umstellungen kommen dann noch Neubauleitungen, Verdichterstationen und Gasdruckregel- und Messanlagen. Eine wichtige Maßgabe der Planungen besagt, dass die Erdgasversorgung durch die Umrüstung der Leitungen auf Wasserstoff nicht gefährdet werden darf. Daher werden an einigen Stellen sogenannte „erdgasverstärkende Maßnahmen“ durchgeführt: kurze Neubauleitungen, die sicherstellen, dass auch die verbleibenden Erdgasbedarfe weiterhin bedient werden können.
Das Wasserstoff-Kernnetz wird mit einer Einspeisekapazität von rund 100 Gigawatt – rund fünfmal so viel wie die Nennleistung aller deutschen Braunkohlekraftwerke zur Stromerzeugung im Jahr 2021 – und einer Ausspeisekapazität von 87 Gigawatt errichtet. In dem Szenario, das der Planung zugrunde liegt, geht die Bundesregierung von einer Ausspeisemenge von insgesamt rund 280 Terawattstunden im Jahr 2032 aus – zum Größenvergleich: Das Umweltbundesamt beziffert den gesamten Endenergieverbrauch deutscher Privathaushalte im Jahr 2021 auf 670 Terawattstunden.
Die Menge von 280 Terawattstunden liegt deutlich über dem in der nationalen Wasserstoffstrategie prognostizierten Bedarf, der für das Jahr 2030 etwa 95-130 Terawattstunden vorsieht. Indem sie das Kernnetz von Anfang an für den Transport größerer Mengen auslege, baue sie für den künftigen Hochlauf vor, argumentiert die Bundesregierung. Es haben sich allerdings auch kritische Stimmen gemeldet, die das Wasserstoff-Kernnetz in seiner jetzigen Planung für überdimensioniert halten.
Übrigens: Der Anschluss einzelner Verbrauchsstellen ist nicht Teil des Wasserstoff-Kernnetzes. Dieses stellt nur das Grundgerüst, also die „Autobahnverbindungen“ dar, ähnlich den überregionalen Übertragungsnetzen beim Strom. Die Weiterverteilung zu den Letztverbrauchern erfolgt in der zweiten Ausbaustufe.
Diese Routen umfasst das Wasserstoff-Kernnetz
Das Wasserstoff-Kernnetz soll in alle Bundesländer reichen und den überregionalen Transport zwischen den – bestehenden und geplanten – großen Erzeugungs- und Verbrauchsregionen für Wasserstoff in Deutschland sicherstellen. Ebenfalls wichtig ist die Einbindung in das europäische Netz. Der aktuelle Antragsentwurf der FNB Gas berücksichtigt diese Parameter und weist die folgenden geplanten Routen aus:
Welcher Wasserstoff fließt künftig durch das Wasserstoffnetz?
Grundsätzlich bekennt sich die Bundesregierung in der nationalen Wasserstoffstrategie zum sogenannten grünen Wasserstoff, der durch Elektrolyse auf Basis erneuerbarer Energien hergestellt wird. Allerdings geht sie davon aus, dass mindestens in einer Übergangsphase und aufgrund der Einbindung in europäische Infrastrukturen zunächst auch blauer, türkiser oder orangener Wasserstoff gehandelt und somit durch das Wasserstoff-Kernnetz transportiert werden.
Zu den verschiedenen Verfahren der Wasserstoffproduktion und den daraus resultierenden farblichen Bezeichnungen siehe unseren Artikel „Wie funktioniert die Erzeugung von Wasserstoff?“.
So wird das Wasserstoffnetz finanziert
Langfristig soll die Wasserstoff-Infrastruktur von der Privatwirtschaft getragen werden. So wie bei den Strom- und Gasnetzen werden die Kosten dann über Netzentgelte auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt.
Die anfänglich zu erwartenden Mindereinnahmen bei den Netzentgelten werden durch ein Amortisationskonto ausgeglichen, das zur Zwischenfinanzierung dient, bis genügend Nutzer:innen an das Netz angeschlossen sind. Dieses soll durch spätere Mehreinnahmen, wenn das Netz gut ausgelastet ist, ausgeglichen werden.
Die Bundesregierung unterstützt die FNB Gas, die das Wasserstoff-Kernnetz errichten, in der Hochlaufphase zudem über eine Förderregelung in Höhe von drei Milliarden Euro. Mithilfe einer staatlichen Garantie können sie zinsgünstige Darlehen bei der Förderbank KfW erhalten, um Verluste zu Beginn der Hochlaufphase auszugleichen. Diese Darlehen müssen bis 2055 zurückgezahlt werden. Die Europäische Kommission hat diese Förderregelung im Juni 2024 genehmigt.
Klimaneutrale Strom- und Wärmeerzeugung bei enercity bis 2035
Wussten Sie schon? Bis 2035 wird enercity die konzerneigene Erzeugung zu 100 Prozent klimaneutral aufstellen. Zu diesem Zweck plant der Energiedienstleister die Umrüstung des innerstädtischen Heizkraftwerks Hannover-Linden, das zahlreiche Haushalte der Stadt mit Wärme und Strom versorgt, von Erdgas auf Wasserstoff. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Anbindung Hannovers an das Wasserstoff-Kernnetz, wie sie im aktuellen Antragsentwurf der FNB Gas vorgesehen ist.
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