Strom aus dem Meer: Gezeiten- und Wellenkraftwerke
So viel Energie steckt in der Kraft der Wellen
Nach Berechnungen des Weltklimarates (IPCC) ließen sich allein mit Wellenkraft pro Jahr weltweit 29.500 Terawattstunden (TWh) Strom erzeugen. Das ist mehr als der gesamte weltweite Stromverbrauch im Jahr 2021 von rund 21.000 Terawatt oder etwa das 50-Fache der Strommenge, die 2022 in ganz Deutschland verbraucht wurde. Selbst wenn nur ein Teil dieses Potenzials genutzt werden könnte, bieten sich demnach enorme Möglichkeiten. Ein weiterer Vorteil neben der scheinbar unbegrenzten Verfügbarkeit: Die Stromgewinnung aus dem Meer ist klimaneutral; bei dem gewonnenen Strom handelt es sich also um Ökostrom beziehungsweise „grünen“ Strom. Entsprechend sieht die Offshore-Strategie der EU-Kommission vor, dass bis 2050 jährlich 40 Gigawatt Strom aus Meeresenergie gewonnen werden sollen. Weltweit wird darum versucht, die Kraft des Meereswassers in Strom zu verwandeln. Dabei lassen sich zwei grundlegende Energiequellen unterteilen: die Kraft der Gezeiten und die Kraft der Wellen.
So funktionieren Gezeitenkraftwerke
Wie ihr Name verrät, nutzen Gezeitenkraftwerke die Kraft von Ebbe und Flut. Es gibt drei unterschiedliche Bauweisen. Ein Gezeitendamm funktioniert ähnlich wie ein Staudamm: Der Damm trennt ein Becken – etwa eine Bucht oder eine Flussmündung – vom Meer ab. Bei Flut wird der Damm überschwemmt und das Becken gefüllt. Bei Ebbe wird das gesammelte Wasser kontrolliert abgelassen, um Turbinen anzutreiben. Diese Technik verwendet auch das älteste Gezeitenkraftwerk der Welt, das in Frankreich den bis zu acht Meter hohen Tidenhub des Atlantiks in der Mündung des Flusses Rance sammelt – und damit eine Spitzenleistung von bis zu 240 Megawatt (MW) erreicht.
Gut zu wissen: Der Tidenhub gibt den Unterschied zwischen höchstem und niedrigstem Pegelstand von gezeitenbeeinflussten Gewässern an. Hierbei werden also die verschiedenen Wasserstände bei Ebbe und Flut berücksichtigt.
Gezeitenlagunen funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip, allerdings wird dafür ein Damm errichtet, der ähnlich einer Mole eine künstliche Lagune parallel zur Küstenlinie schafft. Ein Beispiel dafür ist ein Kraftwerk in Südkorea, das seit 2011 betrieben wird und eine Spitzenleistung von 254 MW erreicht. Bei In-flow-Gezeitenkraftwerken hingegen wird kein Damm errichtet; stattdessen werden Turbinen am Meeresboden installiert, die direkt vom Gezeitenwasser durchflutet werden.
Weltweit gibt es derzeit* nur acht aktive Gezeitenkraftwerke. Ein Grund dafür ist, dass überhaupt nur rund 100 Küstenregionen auf der Welt die notwendigen Anforderungen erfüllen, die für die Errichtung eines Gezeitenkraftwerks notwendig sind – die also über einen Tidenhub in ausreichender Höhe verfügen. Deshalb wird es auch in Zukunft höchstwahrscheinlich kein Gezeitenkraftwerk vor der deutschen Küste geben.
Zudem ist der Bau von Gezeitenkraftwerken hochkomplex und teuer. Das wiederum wirkt sich auf die Wirtschaftlichkeit der Anlagen aus. Im Jahr 2019 lagen nach einer Studie des US-Energieministeriums die Erzeugungskosten bei 120 bis 260 Euro pro Megawattstunde (MWh). Zum Vergleich: Die durchschnittlichen Erzeugungskosten für Windenergie an Land lagen in Deutschland im Jahr 2021 bei rund 61 Euro und für Offshore-Windstrom bei rund 97 Euro. Ein weiterer Nachteil von Gezeitenkraftwerken ist, dass sie massive Eingriffe in die Umwelt mit sich bringen, deren Folgen schwer abzuwägen sind. Dies gilt ganz besonders für Gezeitendämme.
So funktionieren Meeresströmungskraftwerke und Wellenkraftwerke
Rollende Wellen tragen kinetische Energie in sich, die auch Bewegungsenergie genannt wird. Meeresströmungskraftwerke und Wellenkraftwerke verwandeln diese Bewegungsenergie in Strom. Dabei kommen die unterschiedlichsten Konstruktionen zum Einsatz.
Meeresströmungskraftwerke bestehen aus einem im Meeresboden verankerten Turm, an dem sich Turbinen befinden. Faktisch funktionieren sie also wie eine Windkraftanlage, bei der die Turbinen dann von Wasser anstatt von Wind angetrieben werden. Das erste kommerziell betriebene Meeresströmungskraftwerk, „SeaGen“, stand vor der nordirischen Küste und lieferte von 2008 bis 2016 Strom. Sein Nachfolger „MeyGen“ befindet sich zwischen dem schottischen Festland und den Orkneyinseln. Anfang 2023 verkündeten die Betreiber, dass die Anlage insgesamt bereits 50 Gigawattstunden (GWh) an Strom produziert habe – das entspricht in etwa der Leistung einer modernen Windkraftanlage.
Wellenkraftwerke existieren in den unterschiedlichsten Formen, sind aber meist für den schwimmenden beziehungsweise tauchenden Einsatz auf dem offenen Meer konzipiert. Vor der schottischen Insel Islay beispielsweise wird eine sogenannte oszillierende Wassersäule eingesetzt, also eine hohle Struktur, die sich teilweise unter Wasser befindet. Das Meereswasser kann durch Öffnungen eindringen, drückt durch das Hin- und Herschwappen Luft in eine Kammer im oberen Teil der Struktur und treibt so eine Turbine an.
Ein weiterer Wellenkraftwerkstyp sind sogenannte Seeschlangen. Sie bestehen aus mehreren Stahlsegmenten, die durch Gelenke miteinander verbunden sind und dadurch einer Schlange ähneln. Zwischen den Gelenken befinden sich Hydraulikpumpen, die durch die Bewegung der Wellen Hydraulikflüssigkeit in Turbinen pressen und so Druck erzeugen, der zur Stromgewinnung genutzt wird. Eines der ambitioniertesten Projekte war die 150 Meter lange Seeschlange „Pelamis“. Sie wurde nach einem einjährigen Einsatz vor der portugiesischen Küste 2009 wegen technischer Probleme stillgelegt.
Stürme sind eine Herausforderung für Wellenkraftwerke
„Pelamis“ steht beispielhaft für die Herausforderung, mit der sich die Entwickler:innen von Wellenkraftwerken konfrontiert sehen: Stürme mit hohen Wellen und Witterungseinflüsse wie Meersalz erforderten bislang, dass die Anlagen mit schweren Ummantelungen geschützt wurden. Darum bestanden viele Modelle aus schweren Elementen, die zum einen die Kosten für Herstellung und Installation und damit den Erzeugungspreis erhöhten. Zum anderen mussten die Anlagen zur Wartung in ruhigere Gewässer geschleppt werden und hatten dadurch hohe Ausfallzeiten.
Leichter konstruierte Kraftwerke sollen diese Schwierigkeiten nun überwinden. So besteht das Wellenkraftwerk des schwedischen Unternehmens Corpower Ocean aus einer Boje, die am Wellenboden verankert wird. Der Wellengang bewegt die Boje hin und her und treibt dadurch zwei Generatoren im Inneren an. Durch Verwendung von leichten Materialien wie Glasfaser sind die Bojen trotz einer Höhe von 19 Metern und eines Durchmessers von neun Metern verhältnismäßig leicht. Dennoch sollen sie schweren Stürmen standhalten können, weil präzise ausgelegte Strömungskanäle dafür sorgen sollen, dass Sturmwellen die Boje nicht erfassen, sondern um sie herumgleiten. Seit September 2023 ist die erste Boje mit einer Spitzenlast von 300 Kilowattstunden (kWh) vor der portugiesischen Küste im Einsatz. Langfristig soll dort ein Bojenpark entstehen, der die Erzeugungskosten von geschätzt 260 Euro pro Megawattstunde auf 30 bis 40 Euro reduzieren soll.
Deutlich kleinere Bojen mit einem Durchmesser von rund einem Meter haben Wissenschaftler:innen der Fachhochschule Kiel entwickelt. Diese sollen mit Leistungen im Kilowattbereich beispielsweise Haushalte auf Inseln wie Helgoland oder Sylt versorgen. Seit Mai 2023 werden die ersten Prototypen mit dem Namen „Aurelia Wino“ in der Nordsee getestet.
Wellenkraftwerke könnten Offshore-Windfarmen stärken
Wellenkraftwerke könnten auf Dauer auch die Effizienz und Zuverlässigkeit anderer erneuerbarer Energiequellen steigern. So sieht beispielsweise der Plan von Corpower Ocean vor, die Bojen des Unternehmens mit Offshore-Windkraftparks zu verbinden. Das Wellenkraftwerk könnte seinen Strom über dieselben Seekabel an Land transportieren – und auf diese Weise dafür sorgen, dass selbst bei Flaute kontinuierlich Strom produziert wird. Viele Projekte, die in Planung sind, sehen außerdem vor, mit dem Meeresstrom Elektrolyseure zu betreiben und so grünen Wasserstoff zu erzeugen. Laut einer Studie der Universität Lissabon könnte Wellenenergie die Kosten für die Wasserstoffproduktion deutlich senken.
* Stand: Oktober 2023
Newsletter abonnieren
Sie möchten regelmäßig über innovative Technologien und spannende Fakten rund um die Themen Energie und Klimaschutz informiert werden? Dann abonnieren Sie den Newsletter unseres Energiemagazins #positiveenergie!