In Stemwede dreht sich was
„Ein bisschen näher zusammen. Noch ein bisschen – und noch näher, geht das?“ Die Fotografin, die an diesem Sonntag im nordrhein-westfälischen Stemwede im Einsatz ist, gerät ins Schwitzen. Hier, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Osnabrück, findet gerade das Einweihungsfest des Windparks Tiefenriede statt. Und auf das Gruppenfoto derjenigen, die diesen Windpark umgesetzt haben, drängen sich eine Menge stolze Gesichter. Bereits seit Februar drehen sich die ersten Windräder, im Sommer ist die letzte der insgesamt zehn Anlagen ans Netz gegangen. Von nun an wird der enercity-Windpark bis zu 96.000 Megawattstunden Ökostrom im Jahr produzieren – genug, um den Strombedarf von rechnerisch etwa 38.000 Haushalten zu decken. „Die Windräder in der Tiefenriede zeigen unübersehbar, dass in Stemwede ein Beitrag zur Energiewende geleistet wird“, freut sich Bürgermeister Kai Abruszat.
Das Windparkfest ist gut besucht, es gibt Burger und kühle Getränke, vor dem Eingang parken reihenweise Fahrräder und Pedelecs. Kinder flitzen über die Wiese und vergnügen sich auf der Hüpfburg. Fast jeder hier hat den Bau des Windparks verfolgt oder war selbst am Prozess beteiligt. So wie Manfred Quebe: Der Landwirt hat für den Park Flächen an enercity verpachtet. Für ihn eine Selbstverständlichkeit: „Wir haben beschlossene Klimaziele. Um die zu erreichen, müssen wir die Erneuerbaren ausbauen. Da sind wir alle gefragt.“ Seine Unterstützung habe das Projekt daher von Anfang an gehabt.
Wie entsteht ein Windpark?
Am Anfang: Da steht für Windpark-Projektierer wie enercity die Frage, wo genau ein neuer Windpark entstehen kann. Entsprechende Flächen werden in Deutschland durch die Bundesländer und Kommunen ausgewiesen. Dabei gilt: Flächen in direkter Nähe zu Dörfern, Städten, Flughäfen oder Militärbasen kommen nicht als Windparkstandort infrage und für Naturschutzgebiete gelten strenge Auflagen. Die meisten ausgewiesenen Flächen werden bereits land- oder forstwirtschaftlich genutzt. Ein wichtiges Kriterium für die Standortwahl ist, dass es ausreichend Wege zu den Anlagen gibt, damit die Errichtung erfolgen und spätere Wartung gewährleistet werden kann. Und auch der Anschluss des Windparks an das öffentliche Stromnetz muss mitgedacht werden. Zudem analysieren die Experten die Windverhältnisse vor Ort sehr genau, um sicherzustellen, dass der Windpark sich später wirtschaftlich betreiben lässt. Ist der genaue Standort für den Windpark gefunden, spricht enercity mit den Eigentümer:innen der Flächen und schließt Nutzungsverträge mit ihnen ab. In Tiefenriede umfasste diese sogenannte Flächenakquise insgesamt rund 60 Verträge – keine kleine Aufgabe also. Gut, dass Manfred Quebe und die anderen Flächeneigentümer:innen sich schnell zusammengetan hatten, um den Prozess reibungslos zu organisieren.
Klima schützen, Natur erhalten
Windparks versorgen uns mit umweltfreundlichem Strom und helfen dabei, den Klimawandel zu bremsen. Dennoch stellt ihre Errichtung einen Eingriff iin die Umwelt dar, egal ob Ackerfläche, Wald oder Wiese. enercity arbeitet deshalb intensiv daran, diesen so gering wie möglich zu halten und stimmt sich dafür eng mit den Behörden und Gemeinden vor Ort ab. Ziel des Prozesses ist die sogenannte Immissionsschutzrechtliche Genehmigung, die auch die Genehmigung zum Bau und Betrieb des Windparks enthält. Bevor sie erteilt wird, klären zahlreiche Gutachten, welche örtlichen Gegebenheiten berücksichtigt werden müssen. So wird etwa geprüft, ob Optik, Schall oder Schatten der Anlagen die Anwohner:innen potenziell beeinträchtigen könnten. Und auch die Besonderheiten der Tier- und Pflanzenwelt werden genau ermittelt.
So auch im Falle des „Tiefenrieder Kanals“: Der Landschaftsgraben, der mehrere Monate im Jahr Wasser führt, ist ein sogenanntes Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiet. In dem Biotop hat sich die blaue Azurjungfer angesiedelt – eine europaweit geschützte Libellenart. Für enercity bedeutete dies unter anderem besondere Rücksichtnahme während der Bauzeit. „Wir haben für die Baustellenfahrzeuge und Kräne eigens Brücken errichtet, um den Brutplatz der Libelle nicht zu beeinträchtigen“, erklärt Volker Wirtjes, Bauleiter des Windparks Tiefenriede. Zudem wurde eine fünf Meter breite und insgesamt 750 Meter lange Fläche entlang des Kanals als „Libellenstreifen“ umgewidmet: Hier wachsen statt Mais oder Weizen nun auf die heimische Flora abgestimmte libellenfreundliche Pflanzen. enercity pachtet und pflegt die Bereiche über die gesamte Betriebszeit des Windparks hinweg. Die Universität Oldenburg hat als Kooperationspartner bereits eine rege Nutzung der Libellenstreifen durch die Tiere bestätigt.
Der Nachweis über die Verträglichkeit von Windenergie und Natur ist Dreh- und Angelpunkt für die Akzeptanz des Projekts bei Behörden und Anwohner:innen, weiß Carsten Schurwanz, Projektleiter für Tiefenriede bei enercity. „Ein ganzes Mosaik an Maßnahmen“ habe man für den Standort entwickelt, sagt der Biologe, der auch privat im Naturschutz aktiv ist. So hat enercity beispielsweise rund 15 Hektar Fläche aus der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung genommen; diese werden nun viel seltener maschinell bearbeitet oder als Weidefläche genutzt. Davon profitieren Vögel wie der Wiesenpieper, die Feldlerche oder die Wachtel. An anderer Stelle wurden naturnahe Wälder und Kleingewässer angelegt, um den Lebensraum der in der Region vorkommenden Amphibien zu erweitern.
Und als Nisthilfe für den ebenfalls in der Tiefenriede beheimateten Baumfalken sind zahlreiche Kunsthorste in den Bäumen aufgehängt worden. „Wir wollen die heimische Flora und Fauna nicht nur‚ nicht beeinträchtigen‘, sondern sie aktiv fördern“, sagt Schurwanz. Einige dieser Maßnahmen ergeben sich aus gesetzlichen Auflagen für den Bau und Betriebeines Windparks, andere leistet enercity freiwillig. Sie alle eint: Jede Maßnahme wird in jedem Projekt individuell mit den Behörden und Flächeneigentümer:innen vor Ort beschlossen.
Ein „Windpark, der den Leuten vor Ort was bringt“
Zentraler Bestandteil der Planungs- und Genehmigungsphase ist der Dialog mit der Politik und den Bürger:innen in den umliegenden Kommunen. „Wir müssen einen Windpark entwickeln, der den Leuten vor Ort auch was bringt“, fasst Schurwanz das enercity-Credo zusammen. Die Voraussetzungen dafür sind in Deutschland gut: Die Akzeptanz von Windenergieanlagen im eigenen Wohnumfeld liegt bereits bei 80 Prozent. Um diesen Wert weiter zu steigern, verpflichtet etwa Niedersachsen Windparkbetreiber seit 2024 dazu, eine Akzeptanzabgabe von 0,2 Cent pro Kilowattstunde an die umliegenden Kommunen zu zahlen – Gelder, mit denen soziale und kulturelle Zwecke, Umweltschutz oder Ehrenämter gefördert werden können. Für die Kommunen könnten so 20.000 Euro pro Windenergieanlage und Jahr zusammenkommen, schätzt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Für Tiefenriede in Nordrhein-Westfalen zahlt enercity die Abgabe freiwillig, die angrenzenden Kommunen Stemwede, Bohmte und Bad Essen profitieren anteilig. Stemwede als Standortgemeinde erhält zusätzlich Gewerbesteuereinnahmen und weitere Vergütungen. Zudem kann jede:r ab einer Summe von 100 Euro auch direkt in den Windpark investieren.
Der Windpark als Gewinn für die Gemeinde? So sehen es die Menschen hier auf dem Windparkfest. Die Stemweder seien ohnehin aufgeschlossen für die Nutzung von Windenergie, erzählt Anwohner Christian Wiese und verweist auf die weiteren Windparks in der unmittelbaren Umgebung. Die Informationslage sei gut gewesen und auch in der Bauphase habe man die Belange der Anwohner:innen stets berücksichtigt: „Das war immer ein Miteinander.“ So seien etwa die Straßensperrungen für die Schwertransporter, die die Rotorblätter anlieferten, immer nur nachts und für kurze Zeiträume erfolgt.
Viel mehr als nur ein Windrad
Mit dem Eintritt in die Bauphase begann für Bauleiter Volker Wirtjes die arbeitsintensive Zeit. Zu diesem Zeitpunkt waren die technische Planung und die Planungen zur Stromnetzanbindung bereits abgeschlossen. Wirtjes hat viel damit zu tun, dass bei einem Bauprojekt dieser Größenordnung alle Rädchen ineinandergreifen. Zumal die Windenergieanlagen kleine Wunderwerke der Technik sind. Der Turm jeder Anlage ist 125 Meter hoch, vom Boden bis zum höchsten Punkt des Rotors sind es sogar 200 Meter. Im Inneren: ein Fahrstuhl, der die Ingenieur: innen bei Bedarf hinauf zum Generator in die Gondel bringt, sowie hochmoderne Software, die die Fernsteuerung der Anlagen erlaubt und eine Reihe weiterer Vorteile mit sich bringt. So lässt etwa die sogenannte bedarfsgesteuerte Nachtkennzeichnung die roten „Leuchtfeuer“ an den Anlagen nur dann aufblinken, wenn in einem Radius von zehn Kilometern ein Flugzeug registriert wird. Zusammen mit der softwarebasierten Drosselung der Generatoren von 22 bis 6 Uhr reduzieren sich so die nächtlichen Licht- und Schallemissionen des Windparks. Ebenfalls neu ist das in Tiefenriede verbaute Infrarotmesssystem: Es registriert landwirtschaftliche Arbeiten auf den Feldern unterhalb einer Anlage, zum Beispiel das Pflügen. „Das lockt viele Vögel an, die auf dem frisch umgegrabenen Boden nach Beute Ausschau halten“, beschreibt Wirtjes. Für diese Zeiträume versetzt das System die Maschine automatisch in den Trudelbetrieb: Die Rotorblätter werden aus dem Wind gedreht und der Rotor dreht sich nur sehr langsam. So minimiert sich die Kollisionsgefahr für die Tiere.
Ökostrom aus Wind für Wedemark und Burgwedel
Insgesamt betreibt enercity mehr als 100 Windparks mit einer Gesamtleistung von rund 1000 Megawatt. Damit zählt das Unternehmen bundesweit zu den führenden und erfahrensten Unternehmen im Bereich der Onshore-Windenergie. Neben dem Bau neuer Windparks setzt enercity auch auf Repowering. Dabei werden ältere Anlagen in bestehenden Windparks durch moderne, um ein Vielfaches leistungsstärkere Anlagen ersetzt: eine effektive Möglichkeit, Windkapazität auszubauen, ohne dass ein neuer Standort gefunden und genehmigt werden muss.
Ein ganz neues Projekt hingegen plant enercity für die Region Hannover: Auf drei Projektgebieten in der Gemeinde Wedemark und der Stadt Burgwedel sollen insgesamt bis zu 36 Anlagen entstehen, die zusammen jährlich mehr als 150.000 Tonnen CO₂ einsparen werden. Die Besonderheit: 16 dieser Anlagen sollen auf forstwirtschaftlich genutzten Flächen errichtet werden. „Wind im Wald“ spielt eine zunehmend wichtige Rolle für die beschleunigte Energiewende, denn in der Regel lassen sich die Abstandsvorgaben zu Wohngebieten hier sehr gut einhalten. Auch für Windenergieprojekte im Forst gilt für enercity die Maxime, den Eingriff in die Natur so gering wie möglich zu halten – Aufforstung und Ausgleichsmaßnahmen inklusive. „Wir unterstützen die Forstwirte dabei, ihre Bestände zu stärken und weiterzuentwickeln“, erklärt Carsten Schurwanz, „etwa vom reinen Nadel- zum deutlich klimaresilienteren Mischwald.“
Freie Bahn für die Azurjungfer
In Tiefenriede ist das Erinnerungsfoto des Projektteams mittlerweile im Kasten, das Einweihungsfest klingt langsam aus. Ab morgen sind Wirtjes und sein Team wieder im Einsatz, koordinieren noch den Rückbau der Baustellenstraßen und die Entsiegelung der Kranstellflächen. Wenn der Trubel sich gelegt hat, wird man hier wieder beobachten können, wie die blaue Azurjungfer durch den Tiefenrieder Kanal schwirrt. Nebenan bestellen die Landwirte ihre Felder. Und 125 Meter über ihnen produziert der neue enercity-Windpark grüne Energie.
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